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18 Di« Illustrirte Welt.

Haydn zögerte und wollte nicht gleich antworten. §
„Ich bin cs!" sagte er endlich bescheiden, indem er !
zögernd zu Beruardon trat und sich vor ihm verbeugte.
„Trefflich, trefflich!" sprach dieser, „und du bist noch
so sung! Wie ist dir das gelungen?"
„Einmal muß man doch anfangen" , entgegnete
Haydn, „und was meine Composition betrifft —-" j
„Schon gut! schon gut!" unterbrach ihn Bernardon, '
„deine Composition ist dir vortrefflich gelungen. Willst
du mir eine Oper componiren?"
Haydn stutzte und sah Bernardon ernsthaft an; denn !
er meinte, dieser scherze wohl und mit sich spielen zu lassen, !
dazu wär' er nicht hieher gekommen. Er sagte deshalb ,
mit Ernst : „Wie kann ich denn eine Oper schreiben; ich
hab' ja dergleichen noch nie gethan!"
Bernardon bemerkte Haydn's Verlegenheit und cr-
wiederte kurz: „Nun wohlan, so werd ich dir's zeigen!"
„Und ich will's versuchen!" sagte Haydn geschwind.
„So folge mir!"
Und mit diesen Worten zog Bernardon den Künstler
mit in sein offenstehcndeS Haus. Bald erschien Haydn mit
einem Hefte in der Hand vor seinen harrenden Kameraden;
er mußte dem Schauspieler eine Oper schreiben: „Der
hinkende Teufel." Haydn machte sich an'sWerk und
er rechtfertigte auch das Vertrauen in vollem Maße, das
Bernardon auf ihn gesetzt hatte.
Eines Tages kam Bernardon auf Haydn's Zimmer,
als er eben an der „Scene auf dem stürmende n
Meere" arbeitete, die in jener Oper vorkommt. Rath-
los faß Haydn da und wußte sich nicht zu Helsen. Bcrnar--
don lächelte und brachte hiedurch den Tonkünstler noch in
eine weit größere Verlegenheit.
„Ach, lachen Sie nicht!"rief Haydn außer sich, indem
er die Hände vom Clavier gleiten ließ und mit traurigem
Blicke nach dem humoristischen Gönner schaute, „wie ist
es denn möglich, Scencn zn schildern, die man noch nie
erlebt hat?"
„Ach, sei doch nicht so ängstlich, mein Jnnge!" ver-
setzte Bernardon, während er mit zurückgestreiften Aermeln
und muthwilligen Sprüngen um Haydn herumtanzte und
ihm dann freundlich auf die Achsel klopfte. Sieh nur,
das Ding geht leicht! Stelle dir einen colossalen Berg
vor, der sich plötzlich, ungeahnt und mit riesenhafter Kraft
erhebt und dann in ein nahes tiefes Thal senkt, so daß das
Thal zum Berg und der Berg zum Thal wird— und zwar
mit solcher Heftigkeit geschieht der Fall des colossalen Ber-
ges, daß alle anderen Berge erdröhnen und mit rasender
Eile sich von dannen bewegen, dazu kommen entfesselte
Winde und dräuende Wellen; es mnß ein vollkomme-
nes Chaos entstehen. Ich bitte dich, drücke ein jedes Auf-
und Absteigen der Wellen recht sinnig aus! Auch deiue
Musik muß hier ein Chaos sein, soll sie treu und wahr
werden!"
Aber was hatte Haydn durch diese Deklamation ge-
wonnen? Er versuchte im Sturm chromatisch Tonleiter an
Tonleiter zu reihen ; er bewegte sich in rauschenden Disso-
nanzen und reihte Tonwellen vom tiefsten Basse bis zum
hellsten schmetternden Discant, und die veränderten Vier-
klänge gellten in den Ohren, umsonstBernardon war
nicht zufrieden damit! Da sank dem Künstler der Muth, und
er ließ die zusammengepreßte Hand fest und heftig auf
den Tasten gleiten und spielte, waS ihm der Zufall an
rauhen Sätzen in die Finger leitete — und „Bravo!
bravo!" rief Bernardon. Mit stürmischer Begeisterung

sprang er auf Haydn zu und drückte ihn so herzhaft und fest
an die Brust, daß dieser fast erstickte und kaum mehr zu
Athem kommen konnte. Jetzt hatte ihn Haydn verstanden
und er führte jene „Scenen auf dem Meere" mit ei-
ner seltenen Meisterhaftigkcit, mit einer wahren Treue
und Natürlichkeit aus.—
Haydn verweilte bis zum Jahre 1758 in Wien, an
dem stillen heimlichen Zufluchtsort, den ihm die Familie
Keller gewährte, obgleich sein Ruf weit über die Grenzen
des Vaterlandes gedrungen war. Er trat nun indieDienste
des Grafen von Mor t igni, blieb jedoch nur kurze Zeit
bei ihm, um sich zu dem Fürsten Esterhazy zu begeben,
den er bei einem Besuche desselben bei von Mortigni kennen
zu lernen Gelegenheit hakte. Der Fürst Esterhazy war
ein vortrefflicher Dilettant und hielt sich eine ausgezeichnete
Hauscapelle. Die Veranlassung zur Uebernahme der Di-
rektion der Esterhazyschen Capelle war die Aufführung der
von Haydn cvmponirtcn I)-dur-Symphonie, welcher der
Graf Esterhazy bei von Mortigni anwohnte. Mortigni
wollte seinem Freunde, dem Grafen Esterhazy, die Bitte
nicht abschlagen und überließ ihm den talentvollen hoff-
nungsreichen Tondichter.
Nach seinem Eintritt in dqs erlauchte Haus Esterhazy
war Haydn's Talent besonders fruchtbar; hier componirte
er die meisten seiner Quartette und Symphonien — herr-
liche Werke, die bleibenden Werth haben; denn in dieser
Art Musik darf er wohl als der erste Meister bezeichnet
werden. Hier componirte er auch eine Symphonie ganz
eigener Art; sie heißt „Haydn's Abschied" und ist durch
die Originalität der Durchführung der einzelnen Stimmen
besonders berühmt geworden; es verstummt in denselben
ein Instrument nach dem andern, so daß jeder Musiker, der
dabei mitwirkt, sein Licht auszulöschen und mit dem aufge-
rollten Notenhefte von dannen zu gehen hat. — Zwanzig
Jahre blieb Haydn in dem Hause des Fürsten Esterhazy und
groß ist die Masse seiner Compositionen, die er hier zu Tage
förderte.
III.
Haydn hatte während dieses zwanzigjährigen Auf-
enthaltes bet dem Fürsten .Esterhazy große Berühmtheit
erlangt, llebcrall waren seine Compositionen beliebt —
in den meisten Salons wurden Haydn'sche Symphonien
aufgeführt, und so durfte er es wagen, eine Reise in die
große Welt zu unternehmen. Im Jahre 1770 ging er
nach London, und bald sollte er sich von der Wirkung
seiner Compositionen augenscheinlich überzeugen. .
A>> einem freundlichen Morgen erhielt er den Besuch
eines vornehmen englischen Herrn, der ein großer Musik-
freund wcw, und den Wunsch aussprach, bei ihm Unter-
richt in der Harmonie -— und Kompositionslehre zu neh-
men. Haydn, nicht gewohnt, eine billige Bitte abzuschlagen,
willigte ein.
„Ich bin bereit", sagte er zn dem Engländer. „Wol-
len Sie mir nur gefälligst die Zeit bestimmen, wann Sie
zu beginnen wünschen!"
„Sogleich, wenn's Ihnen beliebt!" lautete die Ant-
wort.
„Einverstanden !" entgegnete der große Meister.
Und nun zog der vornehme Schüler ein Nvtenhesl
aus der Tasche und hielt es dem Meister hin mit den
Worten:
„Da Sie einmal so gütig sind, mir Unterricht zu ge-
ben , so zergliedern Sie mir die Partitur dieses Stückes,
 
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