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„Und wann werden sie wiedcrkommen?" fragte er
mit einem fieberhaften Accent; „siehst du nicht, daß ich ver-
geblich warte, Gotta?"
„Geduld, lieber Pathe", versetzte sie und beugte sich
zärtlich über den Lehnstuhl des Kranken herab : „schon keh-
ren die schönen Tage wieder."
„Ja!" rief der Kranke und richtete sich noch höher
auf, „der Garten blüht, die Vögel singen und bauen ihre
Nester, die Schmetterlinge vergolden den Aether; aber was
nützt das Alles mir, wenn ich sie nicht mehr malen kann?"
„Noch wenige Wochen und du nimmst die Palette
mit neuem Muth in die Hand", wollte Gotta einwerfen.
Er unterbrach sie jedoch ungeduldig.
„ Einige Wochen!" wiederholteer; „hast du vergessen,
Unglückliche, daß die Zeit drängt? daß ich am Ende des Mo-
nats an Van-Bruck de» vorletzten Termin des Preises für
dieses Haus bezahle» muß? daß ich dafür auf die Bilder rech-
nete, welche ich Salomon versprochen, und daß die Ent-
würfe noch daliegen, wie ich sie vor drei Monaten gelassen?
In einigen Tagen wird Van-Bruck seine Bezahlung fordern
und, wenn ich ihn nicht befriedigen kann, mich aus dem
Hause jagen; er wird mir meine Blumen und meine Sonne
nehmen! Eine Verzögerung, siehst du, ist für mich Ver-
derben und Ruin."
Gotta schwieg einige Augenblicke still, dann sagte sie
sanft:
„Habe Vertrauen auf Gott, er wird Dich sicher nicht
verlassen."
Van-Huysum schüttelte den Kopf, und es entstand
eine peinliche Pause.
„Ja", versetzte er mit halblauter Stimme, als ob er
mit sich selbst spräche, „ja, wenn ich mir helfen lasten könnte!
Die übrigen Maler sind glücklich, sie haben Schüler, die sie
mit ihrem Pinsel unterstützen."
„Mein Pathe könnte wohl welche haben, wenn es
ihm beliebte", versetzte Gotta.
„Damit sie mir mein Geheimniß stehlen, nicht
wahr?" unterbrach sic der Maler, dessen Augen hell auf-
blitzten; „damit man meine Bilder nicht mehr von denen der
Diebe unterscheiden könnte! Nein, nein, die Blumensträuße
des Van-Huysum sollen einzig in ihrer Art bleiben."
Und als ob er sich plötzlich eines Andern besänne,
schloß er rasch die Büchse mit den Farben, zog den Vorhang
über das Bild, an welchem er arbeitete, und warf einen
mißtrauischen Blick auf feine Pathe.
„Ich wette, Du sagst das um Deiner selbst willen,
Gotta", versetzte er unfreundlich; „Du möchtest gern, daß ich
Dich lehre, was mich die Geduld entdecken ließ? Nein, nein,
zu reiche Geschenke machen undankbar. Suche, mein Kind,
suche, wie ich selbst gesucht habe. Seitdem ich krank bin, hast
Du mehr als gewöhnlich gemalt. Machtest Du Fortschritte?
Laß mich sehen, Gotta; zeige mir Deine letzten Bilder."
„Es ist nicht der Mühe werth!" versetzte das junge
Mädchen etwas verlegen.
»Zeige, zeige, was Du hast", entgegnete Van-Huy-
sum; „ich werde Dir meinen Rath nicht versagen; es kann
aus Dir eine gute Malerin werden, Gotta; aber suche Deine
eigene Manier, ich behalte die meine."
Gotta mußte ihrem Pathen willfahren; sie ging hin-
aus und erschien bald darauf wieder mit einer kleinen Lein-
wand , auf der sie ein Bouquet von Schneeveilchen und
blauen Glöckchen gemalt hatte. Van-Huysum prüfte das
Bild aufmerksam, und seine Stirne verfinsterte sich im ersten
Augenblicke.

„Aber ... Du malst recht hübsch, Gotta", sagte er;
„Deine Töne sind ungemein fein, Deine Zeichnung ist har-
monisch ; hier die Blätter sind ganz vortrefflich ... Es ist
das Werk eines Meisters, mein Kind; Du wirst eine Schule
bilden und die Van - Huysums zuletzt in Vergessenheit
bringen!"
AP dieß wurde mit einem halb ernsten, halb ironi-
schen Ausdruck gesagt; man sah, daß bei dem Maler die
eifersüchtige Unruhe des Künstlers mit der unwillkürlichen
Befriedigung kämpfte, welche ihm die Vollendung des Kunst-
werks gab; er hielt das Bild etwas entfernter von seinen
Augen, betrachtete einige Momente das Ensemble und ein
Lächeln erhellte seine Züge.
„Ha, ha!" murmelte er mit halblauter Stimme; „die
Kleine hat Geschmack; aber es ist doch nicht mein Styl,
nicht meine Farbe. Wir wollen sehen, Gotta, wie viel Sa-
lomon Dir für diesen Strauß geben wird?"
„Was er mir für meinen früher» gegeben, hoffe ich,
fünf Dukaten."
Ein Lächeln beleuchtete auf's neue die Züge Van-
Huyfums.
„Gut, sehr gut!" murmelte er. „Ich würde ein Bild
von gleicher Größe für fünfzig Dukaten verkaufen! Aber
ich bin auch einzig in meiner Art; Niemand hat mein Ge-
heimniß bis jetzt entdeckt, und Niemanden, als mir, erblühen
die Blumen unter dem Pinsel!"
Dieses letzte Wort schien ihn auf seine ersten Gedan-
ken zurückzusühren.
„Doch wozu dieser Vorzug, wenn er mir keinen Stutzen
bringt", versetzte er mit schmerzlichem Tone. „Ich Unglückli-
cher, die Goldmine ist da, aber die Kräfte fehlen mir, sie aus-
zubeuten. Der wievielte Tag des Monats ist heute, Gotta?"
„Der neunundzwanzigste, Pathe."
„Der neunundzwanzigste! Ist es möglich! So wird in
zwei Tagen Van-Bruck kommen; in zwei Tagen! Ha! Fluch
über ihn, über mich, über die ganze Welt! Gott hat mich
verlassen, ich bin verloren."
Der alte Maler sank in den Lehnstuhl zurück, und
Gotta trat näher zu ihm. Während sie ihn durch sanfte
Worte zu ermuthtgeu suchte, bereitete sie ihm ein herz-
stärkendes Mittel, dessen wohlthätige Kraft sie schon öfters
erfahren.
In diesem Augenblick öffnete sich die Thüre und der
Jude Salomon erschien.
Bei seinem Anblick stieß Gotta unwillkürlich einen
Schrei aus, und machte eine Bewegung, als wollte sie ihm
den Eintritt verbieten; aber es war zu spät. Van-Huysum
hatte ihn bemerkt.
„Da ist er!" rief der Maler mit dem Tone fieberhafter
Verzweiflung; „er kömmt, um seine Bilder zu holen! Sieh,
sieh, er hat schon das Geld bei sich!"
„In guten portugiesischen Goldstücken, mein Meister",
sagte der Jude, indem er den Ledersack klingen ließ; „ich
weiß, daß Ihr eine besondere Vorliebe dafür habt."
Der Maler bewegte sich unruhig auf seinem Lehnstuhl
hin und her.
„Nehmt sie mit Euch fort!" murmelte er, „und ver-
mehrt meinen Schmerz nicht durch den Anblick dieser Summe!
Nehmt sie fort, sage ich, Salomon, ich will sie nicht sehen."
Der Jude rückte verdutzt an seiner Brille.
„Was soll das heißen", sagte er; „Ihr wollt mein
Geld nicht?"
„Weil ich Euch die versprochenen Bilder nicht geben
kann!" rief Van-Huysum ungeduldig.
 
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