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Wie Illustrirte Welt.

Dimension, wie das Vestibüle, mit vier Kabinetten, sehr reich
decorirt. Von diesem Saal kann man sich auf eine äußere
Gallerie begeben, die über der dorischen Säulenordnung
des Parterre liegt. Den zweiten Stock nimmt die Kapelle
ein, die, von corinthischen Säulen getragen, mit Sculptu-
ren von seltener Eleganz geschmückt und mit einer Kuppel
überwölbt ist. Ehedem wurde sie von zwei Reihen Fenstern
erhellt. Die eine derselben fiel bei der Vergrößerung des
Thurms weg. Im zweiten Thcile des Thurms ist kein Zim-
mer mehr: die herrliche Treppe nimmt den ganzen Raum ein.
Der Neubau mit seiner nackten Form bildet einen
unschönen Kontrast zu dem herrlichen Renaissancestyl des
Unterhaus und es bedarf keines besonders feinen Sinnes für
architektonische Formen, um dies sogleich herauszufinden.
In der Kapelle sieht man noch die Büste Louis de
Foir', des ersten nnd berühmtesten Baumeisters dieses Leucht-
thurms. Man beabsichtigt, die Kapelle ehestens dem Cul-
tus zurückzugebe» und bald wird die heilige Jungfrau von
Cordouan wieder von den Schiffern in Gefahren angcrufen
werden.
Die heutigen Leuchtthürme gelten als reine Nützlich-
keitsbauten und entbehren daher jeglichen Schmuckes; um
so interessanter wird der Leuchtthurm von Cordouan stets
bleiben.
Die Laterne hat eine Höhe von 2 2 Fuß und ver-
braucht täglich 2 25 Pfund Steinkohlen.

Die Däder von Firvey.
Erzählung.
(Schluß.)
Der Brief war nicht geschlossen, Georges hatte weder
Siegellack, noch Oblaten; er wußte übrigens, daß die Un-
wissenheit der Alten diese Vorsicht überflüssig machte, und
übergab ihr den Brief, daß sie ihn augenblicklich bestelle.
Franziska, durch die düstere Miene Georges beunruhigt,
eilte den Auftrag zu besorgen.
Unterwegs jedoch öffnete sie unwillkürlich den Brief,
obgleich sie nicht lesen konnte, und während sie noch da-
stand und die fremdartigen Lettern anstarrte, trat Be-
rnet zu ihr und fragte sie, was sie so Wichtiges lese?
„Einen Brief von Ihrem Neffen."
„VonmeinemNeffen?" riefBeruelerstaunt, „undohnc
Zweifel an die Tochter Sordels?"
„Nun, Sie sind sein Onkel" , antwortete die Alte,
durch den sanften Ton Beruels geschwätzig gemacht, „er ist
Ihr Sohn; und ein Kind hat keine Geheimnisse vor dem
Vater; lesen Sie nnd sagen Sie mir, ob ich diesen Auftrag
besorgen soll oder nicht."
Beruel nahm den Brief und las ihn leise. Er lautete
ungefähr folgendermaßen:
„Charlotte! Das Geständniß, das Du mir diesen
Morgen gemacht, ist ein neuer Beweis Deiner Freundschaft.
Ich erkenne jedoch, nachdem die erste Aufregung vorüber,
daß es nicht edel wäre, das Opfer anzunehmen, das Du
mir bringen willst. Ich kann Nichts für Dein Glück thun,
während mein Onkel alle Mittel dazu in Händen hat.
Ueberdieß muß ich Dir um so mehr zu ihm rathen, als ich
überzeugt bin, daß er mich enterbt hat. Schlage das Mit-
tel nicht aus, ich bitte Dich, die Gesundheit wieder zu ge-
winnen, die das Glück und die Freude der alten Tage Dei-

nes Vaters sein wird. Dieser erste Vortheil verspricht Dir
einen zweiten, der freilich minder hohen Werth hat, den
ich Dir aber dennoch wünsche und niemals mißgönnen
werde. Lebewohl, Charlotte, ich fliehe dieses Land, wo
mich nichts mehr zurückhält, ich werde meine Pflicht thun,
Deine Achtung mit mir nehmen und den Muth haben, mil
einer Erinnerung zu leben, die nichts in meinem Herzen
verwischen wird."
„Ein kluger Brief", sagte Beruel, „und Ihr dürst
Euch beruhigen. Thut, was mein Neffe verlangt."
Franziska, durch diese Worte beruhigt, eilte ihren
Auftrag zu besorgen.
Sordel war gerade abwesend: er fand die arme Char-
lotte bei seiner Heimkehr in Thränen gebadet.
„Was ist das?" sagte der unglückliche Vater: „sollte
der alte Narr wiedergekommen sein?"
„Nein, es ist etwas ganz anderes", antwortete das
junge Mädchen schluchzend und reichte ihrem Vater den
Brief.
Sordel las ihn nicht ohne Rührung. Er schloß
seine Tochter in die Arme und sie weinten lange zusammen.
„Wie glücklich wäre ich mit einem solchen Schwieger-
söhne gewesen!" sagte der Vater. „Aber wer sagt, daß ihn
sein Oheim enterbt?"
„Ich fürchte sehr", erwiederte Charlotte, „daß wir die
Ursache dieses neuen Unglücks sind."
„Du hast Recht; Daniel ist eifersüchtig auf seine»
Neffen; diese Rache ist seiner würdig."
„Denken wir nicht an den Elenden; aber soll Geor-
ges ohne Antwort bleiben ?"
„Nein, gewiß nicht;' ich eile zu ihm und werde ibm
sagen.... Was werde ich ihm sagen? Ich weiß es, meine
Tochter: daß du nie Beruels Frau wirst."
Sordel eilte zu Georges und nach langem Kampfe
zweier edelmüthigen Herzen siegte endlich das Alter und
die Vernunft.
„Wir haben", schloß derVater, „ohneZweifel deine»
Onkel gegen dich aufgebracht; wenn er aber nicht so hart,
wie diese Felsen, nicht so kalt wie dieser Schnee, so muß
ihn dein Brief rühren: ich will ihm denselben augenblick-
lich zeigen."
„Das ist schon geschehen", rief Franziska, welche am
Fenster gelauscht, unwillkürlich aus.
Das hinderte den Alten jedoch nicht, sich eilenden
Fußes zu Beruel zu begeben.
Als dieser ihn eintreten sah, konnte er eine Bewe-
gung der Freude nicht unterdrücken, da er fest überzeug:
war, Sordel werde ihm eine günstige Antwort bringe»,
nachdem Georges' Brief seine Wirkung gehabt. Die Ueber-
raschung war deßhalb nm so unangenehmer, als er sich un-
bedingt abgewiesen sah.
„Glauben Sie jedoch nicht, Herr Beruel", sagte Sordel,
„daß Ihr Neffe an unserem Entschlüsse schuldig. 3'"
Gegentheil...."
„Genug, genug! sprechen wir nie mehr von Eurer
Tochter, noch von meinem Neffen."
„Aber er wollte Ihnen ja nützlich sein, statt schade»-
Lesen Sie doch diesen Brief."
„Wozu soll ich ihn lesen? Wißt Ihr, ob das meine»'
Neffen recht ist?"
Mit diesen Worten stand Beruel auf und zeigte dem
Brunnenmacher mit einerbeleidigenden Gebehrde die Thu>e-
Der Zorn des Alten war jetzt so hoch gestiegen, d>'l>
er sich nicht mehr halte» konnte.
 
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