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208

Die Illustriere Welt.

wie gewöhnlich, an ihrer Stickarbeit: nie war ihr das arm-
selige Zimmer so düster und traurig erschienen, als heute:
selbst das einsame Geranium am Fenster schien in dem klei-
nen rothen Topfe zu trauern und die Köpfchen hängen zu
lassen. Thränen um Thränen rannen ihr in den Schooß.
Plötzlich hörte man Tritte auf dem Gange und eine
alte Frau erschien.
„Es ist ein Herr da, es scheint ein Offizier, der Sie
zu sprechen wünscht. Was kann so ein vornehmer Herr
von Euch, dem armen Mädchen, wollen?"
Im selben Augenblick rollte ein Stück Gelb in die
Hand der Frau, und sie zog sich zurück.
„Dem Himmel sei gedankt. Endlich finde ich Dich!"
Priszilla war ein zu natürliches einfaches Mädchen,
um nicht ihren Gefühlen freien Lauf zu lassen, und flog
dein ehemaligen Freunde mit lautem Jubel an den Hals.
„Du hast mich also nicht vergessen, nein, nein", rief
sie, „und doch habe ich Dich einst so tief gekränkt."
„Wie konnte ich Dich, Du treue Freundin meiner
Jugend, vergessen? Aber seit einer Woche bin ich in Gre-
noble und Du kommst nicht zu mir", sagte der General in
vorwurfsvollem Tone.
„Wie konnte ich das in meinen Umständen? Wie
konnte die armc BLrsenverkäuferin einen General besuchen ?
Die kühnen Hoffnungen Deiner Jugend haben sich realisirt,
ich freue mich darüber, uud doch beklage ich es. Die Kluft,
die zwischen uns entstanden, ist unausfüllbar. Der kleine
Zeisig darf dem Adler nicht in seinem Fluge folgen: der
erste muß in seinem Gebüsche nisten bleiben, der andere
seine kühnen Schwingen immer höher breiten — und
allein!"
„Wenn es mir auch nicht vergönnt ist, Dich nach
jenem Gespräch am Ufer der Jsöre die Meine zu nennen,
so gestatte wenigstens, daß ich Dein Loos verbessere, das
schon zu lange Dich in eine Deines Herzens und Geistes
unwürdige Stellung gerückt."

Priszilla wandte sich verschämt von ihm weg. Er
hatte eine Thräne in ihrem Auge gesehen. Endlich rief sie:
„Vergib mir. Ich habe zwölf Jahre schwerer Selbst-
anklage verbracht: ich habe mein Vergehen gesühnt."
„ Solltest DuDich einesAndern besonnen haben? Dürfte
ich die Frage wiederholen: willst Du mein Weib werden?"
„Damals war ich Deiner unwürdig: heute bin ich es
doppelt."
„Zerstöre nicht noch einmal meine Hoffnungen: sie
würden dem Ruhme, der meinen Namen schmückt, seinen
Glanz nehmen."
„So laß mich Dein Weib sein, um Dir zu sage», wie
ich bereut."
Und Napoleons großer General kündigte nach wenig
Tagen der erstaunten Vaterstadt seine Verlobung mit der
armen Börsenstickerin au. Aus dein Volke hervorgegan-
gen, trat er auf der Höhe seines Ruhms wieder in die alten
lieben Kreise ein, die ihm die süßew Bilder der Jugend in's
Gedächtniß zurückriefen.

Die Drantente.
Dieser schöne Vogel mit dem höckerigen Schnabel,
dem großen Federbusch, dem schwarz-grünen Kopf, der brau-
nen, weiß gefleckten Brust, den schwarz gewellten Seiten,
dessen Vaterland Meriko und Nordamerika ist, schwimmt
nicht selten auch auf den Seen unserer englischen Parks.
Die Brautente führt mehrere Namen — namentlich den
von ihrer Art zu nisten hergeleiteten — Baumente.
Sie baut ihr Nest auf Bäumen, tief in das Holz versteckt.
So erzählt der amerikanische Naturforscher Wilson: „Ich
besuchte eines Tages einen Baum, der das Nest einer
Brautente enthielt. Die alte Eiche war vom Sturm ihrer
Krone beraubt und stand an den Ufern des Tucka-Hoe.
Der abgebrochene Wipfel war hohl, und in einer Tiefe von

Die Drautente sgonsa).


ungefähr sechs Fuß befanden sich dreizehn Eier, sorgfältig
mit Flaumfedern bedeckt, die wahrscheinlich der Brust der
Allen ausgefallen waren. Das Pärchen hauste schon seit
vier Jahren an dem Orte. Eine in der Nähe wohnende
Frau hatte im letzten Frühjahre die Alten eines von den
Jungen nach dem andern am Flügel oder am Schnabel
fassen und am Fuße des Baumes niedersetzen sehen, von wo
sie dieselben nach dem Wasser führten. Selbst als man eine

Werkstätte unter dem Baume errichtete, waren sie nicht zu
vertreiben. Das Männchen saß gewöhnlich auf einem Aste,
während das Weibchen brütete. Am Fuße derselben Eicke
hatte eine gewöhnliche Gans ihre Eier gelegt."
Der schöne Bnsch auf dem Kopfe, der ihm in den
Nacken fällt, und den der Schwede Linnö mit dem Kopf-
putze der Bräute seines Landes vergleicht, hat dem schönen
Fußhänter den Namen Brautente verliehen.
 
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