Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
210

Die Illustrirtc Welt.

Vergeblich hält der Mann bisweilen seinen flüchtigen
Renner im Laufe auf und sucht Kühlung im Schatten: der
Ritt ist begonnen, wir müssen ihn fortsetzen.
Lebensalter der schwersten Verantwortlichkeit! Wie
viel Prüfungen, aber auch wie viel Ermuthigungen umschlie-
ßest du! Wenn der Streiter, von Wunden bedeckt, er-
müdet und bange heimkehrt und aus der Ferne auf der
Höhe des Berges das Schloß gewahrt, das seine Familie
birgt, so strömt mildernder Balsam in sein Herz. Einst
war er ein einsamer Wanderer, auf den Niemand harrte,
jetzt schanen die sehnsüchtigsten Blicke auf den Weg hinaus,
den er kommen mich, und die Herzen der Seinen fliegen
ihm entgegen.
Das Haupt der Familie hält in seiner Hand die
Sicherheit und das Glück geliebter Wesen, die seine Wohl-
thatcn mit Zärtlichkeit lohnen; er ist ihre sichtbare Vor-
sehung geworden; nach Gott sehen sie in Freud und Leid
zu ihm auf und rufen nach ihm in Gefahren.
Was zieht uns zu dem Bilde hin, das der Griffel
des Künstlers vor uns entworfen? Trennt den Krieger von
seiner Umgebung, so wird er nur an die rohe Kraft gemah-
nen; aber nehmt ihm den Helm und das Schwert, um sie in
die Hände eines Knaben zu legen, stützt die beiden eisernen
Hände auf die Schultern der Frau und deS kleinen Mäd-
chens und ihr habt das reife Alter in seiner würdigsten Ge-
stalt, das heißt, die Schwachen mit seiner Kraft stützend,
mit seiner Liebe erfreuend.

Was eine Mutter leiden kann.
Eine amerikanische Geschichte.
Es war im Frühjahr von 18-U), als ein Pflanzer in
Missouri, einem der Vereinigten Staaten von Amerika, auf
der Jagd eine Bleimine entdeckte, die er für sehr reich hielt.
Sie lag ungefähr 50 englische Mcilcn von seiner eigenen
Wohnung und beinahe vierzig von jeder anderen entfernt.
Da sich der Miffourier von der Ausbeutung dieser Mine
großen Gewinn versprach, so beschloß er, mit seiner Frau
und zwei Kindern dahin zu ziehen und die Landstrecke
in Besitz zu nehmen. Zu den Seinen zurückgekehrt, holte
er seine beiden Pferde aus dem Stall, bepackte das Eine
mit den nöthigcn Geräthschaften, setzte seine Familie auf
das Andere, warf die Büchse auf die Schulter und machte
sich auf den^Weg. Nach einer langen Tagereise wurden
die Pflanzer von einem schweren Gewitter überfallen: ein
heftiger Platzregen strömte unter fürchterlichem Donnern
und Blitzen nieder. Das jüngste Kind, ein Säugling von
drei Viertel Jahren, konnte es unmöglich in einem solchen
Wetter aushalten, während es auch für die klebrigen kaum
zu ertragen war. Der Mann schätzte sich deßhalb glücklich,
als er für die Seinen in einem verlassenen Blockhaus?, das
er früher einmal in diesen Gegenden bemerkt, ein Unter-
kommen fand. Man richtete sich für die Nacht ein, so gut
man konnte. Der Mann riß ein trockenes Brett von der
Wand und machte Feuer an, bei welchem er die Aeste,
die er von draußen brachte, trocknete, um damit die Glut
so lange als möglich zu unterhalten. Die Frau machte in
einer Ecke ein Nachtlager zurecht und bereitete an dem
Feuer eine kleine Abendmahlzeit. Das Blockhaus war wie
all' diese ersten Wohnungen in den Hinterwäldern von
Nord-Amerika noch sehr roh gezimmert. Die Bretter, die das
Dach deckten, wurden durch starke Sparren und Stützen ge-
ragen und schützten wenigstens vor dem Regen, so daß der

Boden im Blockhause ziemlich trocken blieb. Das Letztere
war aus schweren Dielen zusammengesetzt, die früher
zu einem Schiffe gehört hatten und worin große, einge-
bohrte Löcher unausgefüllt geblieben. Der eingestürzte
Schornstein gab dem- Ganzen das Ansehen einer elen-
den Ruine, und der Rauch, der sich nun durch das Block-
haus verbreitete und lange herumwirbelte, ehe er einen
Ausweg fand, machte den Anblick noch düsterer; doch trug
er wenigstens das Seine dazu bei, die zahllosen Muskitos
abzuwehren, die aus dem nahen Morast in unzähligen
Schwärmen aufstiegen.
Todmüde von der Tagreise, war die Familie bald in
Schlaf gesunken und dieser mochte einige Stunden gedauert
haben, als der Säugling wach wurde und zu schreien be-
gann. Nachdem die Mutter vergeblich das Kind zu stillen
gesucht, sagte sie endlich zu ihrem Manne: „ Es wäre mir
lieb, wenn du noch einen Becher Wasser holtest: das Kind
ist durstig und auch mir klebt von dem Rauch die Zunge
an dem Gaumen." — „Ich werde sogleich welches holen",
antwortete der Mann, ,,aber erst will ich das Feuer ein
wenig anblasen und ein paar Holzspäne anstecken, um nicht
im Dunkeln den Weg zur Quelle zu verfehlen." Mit
diesen Worten stand er auf uud tastete nach dem Herd.
Aber kaum hatte er einige Schritte gethan, so schrie er laut
auf und sprang nach der entgegengesetzten Ecke des Ge-
bäudes.
„Um Gottes Willen!" rief die Frau: „was über-
kommt dich?" — „Nichts", seufzte der Man», indem er
mit großer Anstrengung Athen: holte: „nichts, ich trat
nur auf irgend etwas." —- „Dann will ich aufstehen und
Feuer machen", versetzte die Frau und richtete sich von ihrem
Lager auf; aber im selben Augenblick rief der Miffourier
mit gewaltiger Stimme, daß seine Frau tief erbebte:
„Halt, bewege dich nicht. Um Gottes Willen keinen
Schritt vom Platze, wo du liegst, keinen Tritt, keine Be-
wegung, ehe Licht angemacht ist." — „Was fehlt dir denn,
William? Sprich, was ist an dich gekommen?" beschwor
ihn die Frau; und die Angst erstickte beinahe ihre
Stimme. „Es sind Schlangen im Zimmer", rief
William plötzlich, „und ich bin auf eine getreten."
„Schlangen? und du bist gebissen?" fragte sie wieder, wäh-
rend ein Schauer ihr durch die Glieder fuhr. „Ich glaube
es nicht!" war die Antwort: „eine ist auf mich zugeschnellt,
aber sie hat mich gewiß verfehlt; bleibe nur ruhig liegen
und halte auch die Kinder still."
„O mein Gott!" jammerte die Frau einen Augen-
blick später, „würde cs nur Tag, ich sterbe vor Angst!"
— „Aber ins Himmels Namen, bewegt euch doch nicht,
bleibe wo du bist!" „Ich werde ruhig mit den Kindern
liegen bleiben; daß dir nur kein Unglück begegnet!" —
„Ja, ja!" antwortete der Mann, „ich werde mich wohl in
Acht nehmen; sorge nur sür die Kinder!"
Alles war nun wieder todtenstill. Noch geraume
Zeit blieb die Frau wach und lauschte in Todesangst auf
das leiseste Geknister in dem Gemache, zuletzt hörte sie
nichts mehr; auch das Kind war endlich von selbst wieder
still geworden und mit bleiernem Gewichte deckte die Müdig-
keit noch einmal ihre Augenlider. Aber es war kein er-
quickender Schlaf, der auf sie niedersank; bange Träume
quälten sie und mit einem Angstgeschrei sprang sie aus, als
bereits die Sonne am Himmel stand. Ihre Strahlen
drangen hell durch die vielen Ritzen und Löcher in Wand
und Decke; die Kinder schliefen noch sorglos; auch William
lag am andern Ende des Zimmers und bewegte sich nicht.
 
Annotationen