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23ch Die Illustri rte Welt.

kommt ein Stoff mit Blumen zum Vorschein, der die ganze
Familie in laute Bewuuderung ausbrechen läßt. Die
"Muhme schlägt die Hände zusammen, die kniende Magd
hält den Stoff gegen das Licht, um die Solidität des Ge-
webes zu prüfen; die alte Mutter, die mit der Brille auf
der Nase das Zeug untersucht, handelt um den Preis und
meint, etwas billiger wäre billig. Der Hausirer meint aber,
es sei unmöglich. Die junge Frau sagt nichts und blickt, den
Stoff in beiden Händen haltend, nach dem Gatten: der
Knabe, der hinter seinem Stuhle steht, ist offenbar mit der
Mutter im Complot.
Nur das Haupt der Familie zögert noch und raucht
halb lächelnd, halb ungehalten fort. Von seinem Entschlüsse
hängt der Kummer oder die Freude derer ab, die ihn um-
geben. Nachdem endlich der Preis festgestellt, bestürmt die
ganze Familie den Alten, der so vielen freundlichen Gesich-
tern nicht widerstehen kann und aus dem Schrank, wen»
auch ungern, den dicken Beutel holt, um den Hausirer zu
bezahlen. — Das ist ein Freudenfest, von dem sich der reiche
Städter nicht träumen läßt.

Der Storch.
Dort schwebt er über dem Dorfe, der treue Haus-
freund Storch. Er hat sein Nest verlassen, wo er seine
Jungen erzog, und umkreiset die Häuser, um seine
Freunde im Orte noch einmal zu sehen und dann von ihnen
Abschied zu nehmen. Mit ihm zieht die Frau Störchin
und auch ihre großgewordnen Kinder bleiben nicht zurück.
Bald verschwinden sie hoch oben in weiter Ferne, nachdem
die Menschen ihnen ein herzliches Lebewohl nachgerufen
haben. Mit dem August zieht Freund Storch hinweg und
Pfingstvogel, Wendehals und Bachstelze verschwinden eben-
falls ; ihnen folgen bald auch die fröhliche Lerche und die
geschwätzige Schwalbe und öder wird es draußen auf der
Flur, wo die Feldspiune noch den letzten Schmuck, den sil-
berfarbenen Schleier in zarten Fäden ausgespanut hat.
Bald wird der Herbst kommen; das Scheiden des Stor-
ches hat ihn angekündigt. Begleiten wir ihn, den lieben
Freund, doch einmal auf seiner weiten Reise! Da fliegt er
hoch oben mit den Seinen dem fernen Süden zu. Unser
deutsches Vaterland hat er bald hinter sich; das Meer
braust unter ihm, Schiffe tragen Lasten über die Wogen
hinweg. Freundlich begrüßt der Matrose des mittelländi-
schen und rothen Meeres, den schnellen Segler der Luft.
In Aegypten landet der Storch, in dem Lande, wo tausend
Zeugen vom Glanze vergangener Jahrhunderte stehen.
Kaum vierzehn Tage hat der kühne Luftschiffer zu der wei-
ten, weilen Reise gebraucht. Er steht die Ufer des blauen
und weißen Nils, wo Schaaren von Störchen die zweite
Heimath finden; dorthin dräugt's ihn auch, — er läßt sich
in Nubien nieder. Unzählige Vögel haben schon Wohnung
in diesem Lande aufgeschlagen. Während am weißen Nil
mit den Störchen der Reiher, der Ibis und andre Sumpf-
vögel umherstolziren, gaukeln in den prächtigen Wäldern
von Feigenbäumen, Tamarinden und Orangen die Honig-
sauger und Papageien neben dem possierlichen Affen herum.
Aber aus den Fluthen wälzt sich ein scheußliches Krokodil
mit offenem, starkgezahnten Rachen und jagt auf Adler,
Geier und andere Thiere, die nur durch schnelle Flucht
einem schrecklichen Tode entrinnen können. — Freund
Storch besucht den blauen Nil und sieht bald den majestä-
tischen schwarzen Adler mit weißem Kopf und Hals aus

dem Walde hervorkommen. Sein Geschrei erschreckt die
kleineren Geschöpfe, zieht aber auch den Jäger heran, dem
er oft zur Beute wird. In seine letzten Sterbetöne mischt
sich das Geschrei der Kraniche und das Gebrüll der Nil-
pferde und Krokodile. Das kleinere Gethier zieht sich in
die Sümpfe des Waldes zurück, in welchen die blauenWas-
serrosen und die prachtvollen Winden ihre Nahrung finden.
Die Bäume des Waldes sind überzogen mit herrlichen
Schlingpflanzen, welche buntblumige Lauben bilden, und
in den Doruenbüschen am Baumwollendickicht rankt sich ein
bösartiges Kraut, das Eschek der Araber empor, dessen
Aehrenspitzen die Haut der Einwohner schmerzlich verwun-
den. Ebenso verwundend ist der. scharfe, gebogene Kreuz-
dorn, aus welchem einst dem Heilande die Dornenkrone
geflochten ward. Auch die Bäume sind von Feinden be-
droht, denn die Wanderheuschrecke läßt sich in großen
Schwärmen hier nieder, und kämen nicht die Röthelfalken
hinzu, um Millionen zu vertilgen, die Heuschrecken würden
sich bis in das Unendliche vermehren. Während dieRöthel-
falken schmausen, lauern Kukuks und andere Raubvögel in
der Nähe einer brennenden Prärie auf die durch die Gluth
verscheuchten Jnsektenschaaren, welche sich aus dem Feuer-
tode zu retten suchen und sofort wieder der Raubsucht zur
Beute fallen. -—- Um alle diese kleinen Würgereien küm-
mern sich aber die riesigen Thiere nicht, die im dichtesten
Walde Hausen. In demselben begegnen sich Elephanten,
Hyänen, Löwen und wildeOchsen und es entstehen zwischen
ihnen oft Kämpfe, vor denen das menschliche Herz zittert
und bebt. Das Alles sieht unser Storch mit an und wer
ihm auf seiner weiten Wanderung nicht folgen konnte, der
wartet das Frühjahr ab und läßt sich von dem mit den
Seinen wiedergekehrten Hausfreunde Alles erzählen.
Robert Wo lfram.

Zweierlei Ritt.
(Aus Admiral NuiterS Leben.)
Admiral Ruiter lag einmal mit seinem Schiff bei
Rotterdam vor Anker und da er bei den Bewohnern dieser
Stadt in großem Ansehen stand, wurden ihm zu Ehren
viele Festlichkeiten veranstaltet. Das ärgerte den General
der Landtruppen, der in Rotterdam lag, und er dachte: „Ich
will doch diesem Ruiter einen kleinen Streich spielen." —
Er lud ihn nun auch zu einem Festmahl ein, bei welchem
Alles aufgeboten war, um dem Gaumen zu schmeicheln.
Nach Tische sagte der General: „Meine Herren, wir wollen
den Kaffee auf meinem Landhause trinken."
Nun wurden die kostbarsten Pferde vorgesührt. Der
Admiral war nie in seinem Leben auf einem Pferde ge-
sessen: deßhalb weigerte er sich mit aller Macht, mußte
aber doch zuletzt nachgeben und stieg auf. Er saß wie
ein Schneider auf dem Thiere, das allerlei Kreuz- und
Quersprünge mit ihm machte. Die Landoffiziere waren
nahe daran, in das heftigste Gelächter darüber auszubrechen.
Durch die Stadt ging es einigermaßen ordentlich, da
der General noch ziemlich langsam ritt; aber sobald sie
vor das Thor hinausgekommen waren und der General
seinem Pferd die Sporen gebend, in Hellem Galopp davon
sprengte, — da flog auch der Admiral mit — wankte aber so
ängstlich bald zur Rechten, bald zur Linken, daß er zum
großen Vergnügen der Landoffiziere sich am Sattelknopf
und der Mähne sesthalten mußte. Aber ehe er noch das
 
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