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Dir Ilittst riete Welt.

„Ja; und bei allen Heiligen schwöre ich —"
„Schwört nicht. Und nun, wollt Ihr Poleska zur
Frau nehmen, Louis?"
„Mit Freuden, aber Poleska -—"
„Wird deine Fran sein, so lange du frei von Schuld
bleibst. Aber sobald du wieder dein Verbrechen dein Auge
zuwendest, verlasse ich dich!" sagte Poleska fest und ent- -
schlossen.
„Die starke Frau wird den schwachen Mann retten",
flüsterte Paul seinem Bruder zu.
Karl nickte und man führte die Gefangenen ab. Am
folgenden Tage wurden Louis und Poleska getraut und
zogen nach der Herberge im Walde. Sie wurde wieder
eröffnet und mit Unterstützung Leon's neu hergcrichtet.
Der Vater begleitete ihn. Er versammelte sogleich seine
Kameraden und erklärte ihnen, daß wenn er je wieder ein
Verbrechen von ihnen erführe, sie des Todes seien; wenn
ihm aber etwas von ihnen zu Leid geschähe, so habe der Ma- !
gistrat von Gent eine Liste ihrer Namen in Händen. Das
freundlich aufgeputztc Haus hatte sich großen Zuspruchs zu !
erfreuen. Dein Alten gefiel das behagliche Leben, und Po-
leska wußte ihren Mann zu einem tüchtigen Wirthe heran-
zubilden, der sich bald die Achtung der Umgegend und aller
Gäste erwarb.
Leon und Edith blieben, auah verheirathet, in des
alten Wechslers Haus. Ais er nach zehn Jahren starb

und auch der Bruder ein Jahr später heimging, war der
junge Mann so reich, daß er das Bankhaus an zwei seiner
Correspondenten verkaufte und sich nach Paris zurückzog,
wo er den Titel eines Grafen erhielt. Wäre der Reich-
thum des Wechslers in die Hände des jungen Betrügers
gefallen, wäre er wohl auch zerschmolzen wie Eis, denn
Gold ist wie die indische Pflanze, die, roh genossen, tödt-
lich wirkt, aber zubereitet, das Leben verlängert, — ein
Balsam, ei» Talisman oder ein tödtliches Gift, je nach-
dem es übel oder gut gebraucht wird.
Maria Edgeworth.
Die trefflichste Sittcnmalcrin auf dem Gebiete der
englischen Novellistik, Miß Maria Edgeworth, ist 1793 aus
dem Landsitze ihres Vaters N. L. Edgeworth, in Edgeworts-
town, in der irischen Grafschaft Longford, sechszig Meilen
von Dublin, geboren. Die vorzügliche Erziehung, die sie
in der Einsamkeit ihres ländlichen Wohnsitzes genoß, die
reiche Anschauung, die sie auf ihren Reisen gewann und
das in ihr wohnendeTalent einfacher und feinsinniger Dar-
stellung des geistig Erschauten, Erlebten oder aus Beidem
Combinirten gab ihren kleinen Novellen den Reiz voller
Wahrheit. Ihre Schilderungen, voll psychologischer Tiefe
und lebendiger Situationen, sind nicht blendend, aber warm

Dibtiothcb und Arbcits-Lal'inet der Miß Edgeworth.



und geistig machtvoll: sie wirken nicht durch frappante
Effekte, sondern durch die innere Größe; ihren Styl zeich-
net eine nette, reinliche Zierlichkeit aus.
Dabei herrscht eine solche Harmonie zwischen den
Schriften der Miß Edgeworth und ihrem edeln Leben, daß
man die Bewunderung, die ihre Werke einflößen, nicht von
der innigen Verehrung für ihre Persönlichkeit zu trennen
vermag. Statt der Schriftstellerin, die an ihrem Pulte
sitzt und mit kaltem Verstände ein Buch componirt, zeigt
uns hier eine nachsichtige Freundin mit liebevollem Ernste

den Spiegel des Lebens, öffnet uns die Schätze ihrer Beob-
achtung und zieht daraus manch' heilsamen Rath für das
gesunde, wie das kranke Herz. Eine Reihe von Romanen
und Novellen, vorzüglich aber diePnIss ok kuskionLllls lils
legen dieses herrliche Talent vor uns zu Tage. Wir kön-
nen sie unfern Lesern nicht angelegentlich genug, nament-
lich in der vortrefflichen Uebcrsetzung von Adelbert Keller,
empfehlen. Unser Bild läßt einen Blick in das Arbeits-
zimmer der edeln Miß thun. Sie starb auf ihrem Landsitz
im Kreise ihrer Familie.
 
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