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Die Illustri rte Well.

der dm Altar bedienenden Priester: da erklang die Helle,
klare und volle Stimme des Knaben, der die Arie mit solch'
ergreifendem Tone sang, daß den andächtigen Zuhörern
unwillkürlich Thränen über die Wangen flössen. Als die
Arie zu Ende war und aus dem Emporium alle Musiker sich
um den bescheidenen Knaben drängten, fragte man sich im
Schiffe unten, wer der hübsche Sänger sei, der einen so ge-
waltigen Eindruck auf alle Anwesenden hervorgebracht, und
da und dort wußte Einer Auskunft zu geben, daß es der kleine
Gluck, der Komponist selbst sei, der aus einer alten guten
böhmischen Familie stamme und ein tüchtiger Violon-
cellist sei. Die zweite Arie, die der Knabe zu singen
hatte, steigerte die Bewunderung zum Enthusiasmus.
Als die Messe zu Ende war, hatte sich der Kleine in
aller Stille davon geschlichen. Vor der Thüre der Kirche
vertrat ihm jedoch ein freundlicher Mönch den Weg. Er
erkannte sogleich den Pater Dominikus, der ihm nachgeeilt
war.
„Brav, mein Sohn, du hast heute den Grundstein
zum Bau deines Ruhmes gelegt. Ich kenne die Kirchen-
musik Deutschlands und Italiens: kein Werk kann deinem
an die Seite gestellt werden. Und doch wirst du der Kirche
abtrünnig: ich seh' es im Geiste voraus. Magst du auch
auf einem andern Boden der Musik den höchsten Gipfel
des Ruhms erreichen, erhalte dir den reinen, frommen
Sinn, der Gott in einem feinen Herzen bewahrt: und der
Segen wird auf dir ruhen für und für." Damit drückte er
ihm unter Thränen die Hand und verschwand.
Der Knabe kehrte sinnend heim: das dunkle Wort
des Mönchs klang unaufhörlich in seinem Herzen nach und
mitten in den Triumphen späterer Zeit gedachte er der
Prophezeiung des Paters, die sich so glänzend erfüllte.

Gluck (Ritter Christoph von), geb. 1714 auf der
fürstl. Lobkowitz'schen Herrschaft Weidewang in Böhmen,
woselbst sein Vater Alerander Gluck als Aufseher des
Jagdpersonals angestellt war. Da er frühzeitig Anlage
zur Musik verrieth, sandte ihn sein Vater nach Prag, wo
er sich praktisch auf verschiedenen Instrumenten , besonders
dem Cello ausbildete. Im siebenzehnten Jahre trat Gluck
in die Dienste des Prinzen Melzi in Mailand, wo er das
Studium der Composition begann; doch dauerte es zehn
Jahre, bevor er seine erste Oper Artarerres zu Mai-
land, und 1742 seine zweite, Demetrius, zu Venedig
zur Aufführung brachte; Beide hatten nur einen epheme-
ren Erfolg. 1745 ging Gluck nach London, wo er den
Sturz der Giganten schrieb; auch besuchte er Kopen-
hagen, kehrte aber bald wieder nach Italien zurück, wo er
als beliebter Operncomponist eine Reihe von Jahren fort-
lebte, und über vierzig Opern auf die Bühne brachte. Fast
alle diese Opern sind nebst den übrigen Erzeugnissen dieser
Zeit verloren gegangen. Nicht der Durst nach Erfolgen,
denn diese hat er im reichsten Maße gehabt; kein äußerliches
Bedürfnis denn er war wohlhabend geworden; also kein
vergängliches Motiv, sondern eine innere künstlerische
Nothwendigkett drängte ihn, der Schöpfer einer ganz neuen
Gattung von Kunstwerken zu werden. Die Bahn war nicht
ohne Gefahren, denn er mußte allgemeine Vorurtheile be-
kämpfen, konnte vielleicht das Schicksal erleben (und erlebte
es zum Theil), einen öffentlichen schmachvollen Sturz zu er-
fahren, wo er auf dem früheren Wege der glänzendsten
Triumphe gewiß war; freilich eins so scheinbar Wiedas

andere! Als das erste Erzeugniß, in welchem er diesen
neuen Aufschwung nahm, istOrpheus und Eurydice,
1764 in Wien und dann zu Bologna aufgeführt, zu be-
trachten. Dieser Oper folgte Aleeste, 1768 zu Wien
gegeben. Hienach wandte sich Gluck nach Paris, wo die
Oper im höchsten Flor stand , und brachte hier die von
Bailli de Roulet nach Racine bearbeitete Oper Jphige-
nia in Aulis 1774 zur Aufführung. Er hatte zuvor
mit ungeheuren Schwierigkeiten zu kämpfen, da ihm die
Cabale, welche die Vorrechte der italienischen Oper ver-
theidigte, jede Art von Hindernissen entgegensetzte. Doch der
Schutz der Königin Maria Antoinette half ihm siegen,
und sein eigener Genius den errungenen Steg als Erobe-
rung behaupten. Jphigenta in Aulis hatte einen unbe-
schreiblichen Erfolg. Die Einführung einer ganz neuen
Gattung der Oper, welche, alle todten und veralteten For-
men vernichtend, nur die unmittelbare Wahrheit des Ge-
fühls und des dramatischen Ereignisses ausdrückte, konnte
nicht ohne Kamps geschehen. Es war der Sturz der Götzen-
welt durch den wahren Gott, und die Diener der Abgöt-
terei wehrten sich verzweifelt. Dies ist derKampf, der unter
dem Namen desjenigen der Gluckisten und der Piccinisten
bekannt ist. Unter fortdauernden Bewegungen brachte Gluck
nun zuerst seine älteren Opern, Orpheus, und die um-
gearbeitete Alce st e, dann die Armide 1777, und end-
lich sein höchstes Meisterwerk Jphigenia in Tauris
1779 zur Aufführung. Wie groß auch der Enthusiasmus
war, den er erregt hatte, bis zum innersten Verständniß
seiner Kunstwerke waren doch nur wenige der ausgezeich-
netsten Geister durchgedrungen. Jphigenia forderte den
geläutertsten Sinn, weil die Sinne nichts darin bestach.
Daher ließ sie bei der ersten Aufführung nur kalt, und
Gluck mußte am andern Morgen trauernd zu Rousseau
sagen: «Vous saves, IpfliZMis est toindss!« —
rnais än viel!" war bekanntlich die Antwort Rousseau's.
Jndeß hatte Gluck schon einen solchen Grad der Anerken-
nung für sich, daß eine neue Darstellung dem Werk einen
größeren Erfolg bereitete. Gluck mußte gefühlt haben, daß
er über diese Höhe hinaus nicht mehr zu steigen vermöge,
selbst wenn ihn einige kleinere, jetzt vergessene Arbeiten,
wie z.B. das Festspiel: Echo und Narciß, nicht dar-
über belehrt hätten. Großentheils lag dies auch am Ge-
dicht, welches in der Jphigenia in Tauris alle dramatischen
Forderungen in einem so hohen Maße erfüllt, daß er
schwerlich jemals eines wiederfinden konnte, wofür er sich
so zu begeistern vermocht hätte. Und dieser Adel des Stof-
fes ist es, dessen die Gluck'schen Opern durchaus nicht ent-
behren können, weil der musikalische Gedanke fast nie allein
für sich, sondern stets in der innigsten Verschmelzung mit dem
dichterischen erscheint. Er durfte also mit Recht sagen, ohne
auf sein ergrautes Haar zu blicken: „ich habe mein Ziel
erreicht, und darf mich hinsetzen, und im Abendglanze mei-
ner sinkenden Lebenssonne die reichen Pfade und Auen, die
ich durchwandelt, eine Welt zauberischer Schönheit, die sich
geschaffen, genießend überblicken." Und so that er; er
verließ den Schauplatz, wo die Glorie seines Ruhmes im
höchsten Glanze gestrahlt hatte, und kehrte nach Wien, das
ihm doch die eigentliche deutsche Heimath gewesen, zurück.
Am 17. November 1787 nahm hier der Tod den bis zu-
letzt kraftvollen, feurigen Greis mit rascher Sichel hinweg ;
er starb am Schlagfluß.
 
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