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Wie JUustrirtc Welt. 267

„Um Gottes willen!" rief Ellen, „ihr wollt doch !
nicht von mir gehen, Brüder? Ist es nicht genug, daß
Einer—" fügte sie beinahe flüsternd hinzu, hielt aber
erschrocken inne, denn ihre Gesichter veränderten sich Plötz-
lich. Sie ergriff ihre Hände, hielt sie an ihr pochendes
Herz und sagte mit thränenerstickten Blicken, sie sollten
mit Gott gehen, sie wolle für sie Beide beten. Aber ihre
Seufzer in der einsamen Kammer baten um Jörgens
Leben.
Die Brüder zogen zum Heere. Das lustige Leben
schien ihre Gefühle in des Herzens Tiefe zurückzudrängen,
sie näherten sich einander wieder, aber von der Heimath
dursten sie nicht sprechen. Oft wollte» sie nach Hause
schreiben, aber ein unbestimmtes Gefühl hielt ihre Hand
zurück. Es war ihnen beinahe eine Erleichterung, als
sie in den Kugelregen kamen: hier wagten sie ja Beide ihr
Leben, — Gott konnte zwischen ihnen wählen, und sie
drückten sich freundlich die Hände. Als sie sich jedoch
nach der Schlacht trafen, gaben sie sich nicht die Hand:
sie nickten einander finster zu, und zu einem Kameraden
aus ihrer Gegend sagten sie: „Wenn du nach Hause
schreibst, so sage, daß uns Gott verschont hat."
Wiederum standen sie dem Feind gegenüber, wieder
sollten sie um Leben und Tod losen, und mitten im Ge-
tümmel der Schlacht kamen sie neben einander zu stehen.
Es war in einer kleinen Scheuer, die von Feinden um-
ringt worden; sie sahen die Bayonnette vor der Thüre. blin-
ken und hörten die Offiziere Befehl zum Feuern geben. Da
drückte Johann einen Laden auf, der nach dem Walde ging,
und sprang hinaus. Jörgen faßte das Gesims und
wollte ihm folgen — da ergriff ein böser Geist das Herz
Johanns: er stieß den Bruder zurück, schlug den Laden zu
und eilte durch den Wald. Der Rauch verbarg Johanns
Flucht; betäubt blieb er endlich im Grase liegen.
Als Johann erwachte, war Alles rings nm ihn her
still; aber bald stieß er auf Kameraden. Ais die Trup-
pen aufgestellt und beim Namen aufgerufen wurden, durch-
zuckte es ihn; man nannte seinen Bruder: unwillkürlich
warf er einen Blick nach der Stelle im Glied, wo er sonst
zu stehen pflegte, und wo er das blasse, drohende Antlitz
zu sehen fürchtete. Er hörte seine Kameraden von ihm
sprechen, aber seine Seele war verhärtet. Endlich fiel es
ihm ein, daß er nach Hause schreiben müsse: aber es war
ihm unmöglich. Mußte sie nicht sehen, daß die Hand,
die diese Worte schrieb, den Bruder zurückgestoßen? Er
schickte deßhalb durch einen Andern die Nachricht vom
Tode des Bruders. Als Waffenstillstand geschlossen wurde,
eilte er heim: er sollte Ellen wieder sehen. Langsamen
Schrittes aber näherte er sich dem stillen Haus im Thal,
und als Ellen ihr weinendes Antlitz an seiner Brust barg,
da wurde auch ihm das Herz schwer, und er brach beinahe
unter der Last des Kummers zusammen. Später ward es
besser, er dachte an sic und verscheuchte alle Gedanken an
den Bruder; wenn er aber stumm im Kreise der Bauern
stand und gleichgültig gegen alle Freude schien und er sie
dann sagen hörte: „Wie Johann doch seit dem Krieg
verändert aussieht!" dann mußte er wieder fort und hin-
aus in die Einsamkeit.
Eines Abends, als er vom Felde heimkam, murmelte
er vor sich hin: „Ich werde doch noch glücklich werden!"
und er trat an das Kammerfenster, in welchem Ellen lag,
und sagte: „Höre, Ellen! wir haben genug um Jörgen
getrauert. Ich war dir von Kind an gut, willst du meine
Frau werden?"

Ellen sah vor sich nieder und dann wieder zu ihm
auf und antwortete: „Ja, Johann, ich sah wohl, wie es
mit dir und Jörgen stand, aber ich will ehrlich sagen,
daß ich Jörgen am liebsten zum Mann gehabt: nun aber
Gott entschieden, so ist Niemand auf der Welt, den ich
lieber hätte, als dich. Bist du damit zufrieden?"
Johann wurde blaß: „Das hättest du nicht zu sagen
brauchen, Ellen: glaube nur, ich hielt nicht minder große
Stücke auf dich, als Jörgen. Doch ich bin's zufrieden."
Nach kurzer Verabredung des Hochzeitstages schloß
Ellen das Fenster und ging hinein, und den ganzen Abend
war nicht mehr die Rede von der Sache. In der Nacht
aber im Traume glaubte er, Jörgen habe ihn zum Laden
hineingestoßen und er liege nun im Grabe: krampfhafi
rang er sich in die Höhe, hielt den Laden fest, daß der
Schweiß ihm über die Stirne floß, bis er endlich erwachte.
„Warum ist nicht Alles ein Traum?" jammerte er, rang
die Hände und preßte den Kopf an die Wand.
Da stand er nun auf der Höhe und barg sein Antlitz
vor der Frische des Morgens und dem heitern Strahl der
Sonne. Da berührte eine Hand freundlich seinen Kopf,
und eine sanfte Stimme sagte: „Aber Johann, weßhalb
liegst du da? Was fehlt dir?"
Und als er sich erhob und sie in seine verstörten
Züge sah, setzte sie sich neben ihn. „Glaubst du, Ellen,
daß wir glücklich werden können?" fragte er, sein Antlitz
an ihrem Halse verbergend.
„Weßhalb nicht?" sagte Ellen tröstend, „wir sind ja
jung, wir haben uns lieb, und wer ein gut Gewissen har,
ist immer glücklich."
Ihr Wort durchbohrte Johanns Seele mit furcht-
barem Schmerze; er wurde bleich wie der Tod, und ein
zermalmendes Geständniß schwebte auf seinen Lippen, aber
er preßte es zurück in seines Herzens Tiefe und schwieg.
Ellen saß stumm da und lauschte; endlich rief sie: „Hörst
du die Kirchenglocken läuten! Sie sind da, ich lause zur
Mutter hinein!"
Als sie fort war, blieb er sitzen und jammerte:
„Wenn man ein gut Gewissen hat. Wie leicht sagt sie
dies schreckliche Wort. O Jörgen, Jörgen, steh' auf aus
deinem Grab und laß mich mit dir tauschen I"
Der Angstschweiß stürzt ihm in heißen Tropfen von
der Stirne, jedes Glied kracht in den peinlich gerungenen
Händen, jede Nerve zittert in dem unglücklichen Sünder.
Aber welcher Engel des Himmels ist es, der an feiner
Seite kniet, ihm die Haare von der Stirne streicht und
das feuchte Tuch der Angst trocknet? Johann sieht auf, —
ist es eine Erscheinung aus dem Grabe oder ist er es,
Jörgen, Jörgen! Nein, er lächelt, er kann cs nicht
sein!
Er streckt die Hand aus und ergreift den Arm des
Bruders. „Bist du es, Jörgen? Barmherziger Gott,
bist du es?"
„Ja, ich bin's", antwortete Jörgen, und wollte den
Bruder umarmen.
„Du bist also nicht todt?" fragte Johann, hielt ihn
aber zurück. „Ich habe dich nicht dem Tod in die Arme
geschleudert?"
„Still, still!" sagte Jörgen, „du stießest mich vom
Laden nieder, ich fiel auf den Boden und die Kugeln
gingen über mich hin. Aber sie schleppten mich mii in
die Gefangenschaft und daher komme ich. Vergieb mir,
Johann, daß ich so lange vergessen konnte, daß wir Brü-
der sind."
 
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