Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
346

Die Illustriere Welt.

Wallfahrtsort der Indianer. Heutzutage bilden diese herrli-
chen Gegenden, mit ihren mehr als dreitausend Fuß hohen
Felsspitzen, das Ziel von Vergnügungspartien, und an die
Stelle der Urwälder sind prachtvolle Wohnungen getreten,
welche von Brasilianern, Engländern und Schweizern er-
baut und mit allen Reichthümern moderner Gartenkunst
geschmückt sind. Die reizenden Obstgärten, welche in der
Serra dos Orgaos zerstreut liegen, versehen das reiche
Rio de Janeiro mit den meisten europäischen Früchten:
die beständige Frische der Temperatur gestattet dort, neben
Bananen und Orangen, Aepfel, Birnen, Wein, Pfirsiche,
Oliven, Quitten, besonders aber eine vorzügliche Sorte
von Feigen zu pflanzen ; auch Erdbeeren wachsen in großer
Masse.

Tsllar, -er Indianer.
(Schluß.)
Er war überglücklich, als er den Ort fand, wo er
am Morgen gelandet, und dort auch sein Massuli wieder
traf. Da ihn jedoch die Piraten sehen konnten und
er ihr Mißtrauen rege zu machen fürchtete, so that er, als
ob er nicht die geringste Eile hätte, und ließ seine Barke
mit einer gewissen Sorglosigkeit am Ufer hinabtreiben.
Plötzlich aber hörte er eine starke Stimme seinen
Namen rufen; das Massuli schwankte unter der Last eines
neuen Passagiers und er sah sich Lantou gegenüber, Ver-
eines der Ruder ergriff.
Seine erste Bewegung war, daß er nach dem malahi-
schen Dolche griff.
„Wie?" rief der Pirat laut lachend, „erkennst Du
Deinen Reisegenossen nicht mehr?"—„Doch", stotterte Dol-
lar, der sich plötzlich besann, daß er eine unschuldige Miene
annehmen müsse. — „Ich hoffe, daß Du unsere Be-
gegnung auf dem Wege von Calcutta nicht vergessen?" —
„So wenig, als unsere unerwartete Trennung." — „Aber
wohin gehst Du jetzt?" — „Zu meinem Herrn." —
„Nach der andern Seite des Flusses? ... So gehen wir
zusammen."
Er setzte sich bei diesen Worten neben den Indier
und begann zu rudern.
Sie sprachen lange Zeit Beide nichts, Dollar beob-
achtete den Piraten, dessen Absichten er zu errathen suchte;
dieser aber wandte sich Plötzlich nach dem jungen Mann
um.
„Du weißt nicht, wohin ich gehe?" fragte er ihn
heiter. — „Nein", antwortete Dollar. -— „Zu Deinem
Herrn." — „Du?" — „Ich weiß, daß er einen Cvrnak
für seine Elephanten braucht." — „Und Du wolltest Dich
ihm anbieten?" — „Ja." — „Ich bezweifle, daß Dich
der Doctor annimmt, ohne Dich zu kennen." — „Er
wird es wenigstens mit mir versuchen", versetzte Lantou, „und
mehr verlange ich nicht."
Dollar sah ein, daß der Pirat sich nur auf diese
Weise in die Wohnung des Doctors eiuschmuggeln wollte,
um sie dann an seine Mitschuldigen auszuliefern: das war
ohne Zweifel der Plan, den er dem Tadin anvertraut;
ein glücklicher Zufall kehrte nun die Spitze gegen ihn selbst.
Das Massuli legte an. Dollar nahm die Ruder her-
aus, führte seinen Begleiter nach der Wohnung des Doc-
tors und ließ ihn in einem der untern Zimmer warten.
Dann begab er sich nach demZimmer seines Herrn, er-

fuhr jedoch von einem Diener, daß der Doctor mit seinen
Gästen nach einer benachbarten Stadt gefahren sei und wohl
nicht vor dem nächsten Abend zurückkommen werde. Er begab
sich rasch nach dem Bedientenzimmer; aber die indischen Die-
ner hatten sich die Abwesenheit des Herrn zu Nutze gemacht
und das Haus verlassen; er fand nur Einige von der weib-
lichen Dienerschaft, die ihm mittheilten , daß Miß Eva sich
unwohler fühle und deßhalb zu Bette gegangen sei.
Dollar war einen Augenblick ganz unschlüssig und
wußte nicht, was er thun sollte; da kamen zwei Pions zu-
rück. Er erzählte ihnen rasch, was geschehen, und sagte,
was zu thun sei; dann begaben sich alle Drei in den Warte-
saal, wo sie Lantou fanden, ergriffen und banden.
Einer von ihnen stieg augenblicklich zu Pferde, um
den Doctor davon zu benachrichtigen, während der Andere sich
auf die Terrasse postirte und Dollar den Gefangenen bewachte.
VII.
Die Nacht war angebrochen, eine jener schönen Nächte
Indiens, die ein wunderbar sanftes Licht erhellt und ein
würziger Wind erfrischt. Die Barke der Piraten befand
sich noch am selben Platze, still und unbeweglich; kein Ge-
räusch war ringsum zu vernehmen und die Sommerrestdenz
lag in tiefes Schweigen begraben.
Lantou, der sich unvermuthet gebunden sah, schwieg
Anfangs - als er jedoch mit dem Jüngling allein war, be-
gann er mit einem wilden Blicke:
„Du hältst Dich für gerettet; freue Dich nicht zu
frühe, daß Du einen Tiger in der Schlinge hast, denn die
klebrigen sind nicht ferne." — „Ich weiß es; auch habe ich
nach Verstärkung gesandt, und wir werden bald im Stande
sein, den Kampf mit ihnen aufzunehmen." -— „Ihr werdet
nicht Zeit haben." — „Warum das?" — „Dein Herr
kann vor Mitternacht nicht kommen." — „Nun?" — „In
einigen Augenblicken ist das Haus in unserer Gewalt." —-
„Das wollen wir sehen!" — „Du wirst es ehestens erfah-
ren; und dann wehe dem, der mich verrathen."
Tollar zuckte die Achseln.
„Du willst mich schrecken", sagte er, „aber denke
lieber an Dich, Lantou; denn, was auch kommen mag, Du
bist für mich eine Geisel und eine Schutzwehr. Dringen
Deine Genossen hier ein, so werden sie Dich nicht lebend
wieder finden."
Lantou betrachtete den jungen Mann, seine Züge
hatten einen Ausdruck von Entschiedenheit, der ihn srappirte.
Es entstand eine Pause.
„Und welchen Lohn hoffst Du für Deine Treue?"
fragte der Pirat. — „Keine andere, als seine Dankbarkeit",
antwortete Tollar. — „Nun denn! Ich biete Dir Reichthum
an", versetzte Lantou; „löse diese Bande, fliehe mit uns
und die Hälfte der Beute ist Dein."
Tollar lachte verächtlich.
„Habe siezuerst, ehe Du sie Vertheilen kannst", sagte er,
und trat an das Fenster, da er etwas zu hören glaubte.
Plötzlich aber wandte er sich um und sah, daß es dem
Piraten gelungen war, eine seiner Hände loszumachen.
Tollar stürzte auf ihn zu, um ihn an weiteren Ver-
suchen zn hindern, und es entstand ein heftiger Kampf. Lan-
tou hatte den jungen Mann mit einem Arm umfaßt; aber
Tollar, der die Stärke durch Gewandtheit ersetzte, wußte
sich wieder loszureißen; in der Hand seines Gegners blieb
jedoch ein Theil der seidenen Schnur, an der er die halbe
Rupie um den Hals trug.
 
Annotationen