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Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften — 6.1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.25677#0101
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Bücher.

Dr. PAUL FEDERN: Zur Psychologie der Revolution:
Die vaterlose Gesellschaft.

<Der Aufstieg, Neue Zeit- und Streitschriften Nr. 12/13, Anzengruber-Verlag,

Wien 1919.)

Leopold von Ranke sagt einmal von den Parteien: Wäre es möglich,
sie durch eine geistige Anatomie bis in ihre geheimsten Bestandteile zu
zerlegen, so würde man zuletzt auf ein irrationales Element stoßen. <S. W.
Bd. 49 50, S. 194). Dieses Wort, das mit demselben Recht wie auf das
politische Leben überhaupt Geltung beanspruchen darf, klingt bei der Ver-
feinerung des psychologischen Denkens in den letzten Jahrzehnten, heute fast
wie eine Binsenwahrheit. Da jedoch anderseits die systematische Psychologie
an dieser Verfeinerung fast unsdiuldig ist, ist es nidit zu verwundern, daß
eine planmäßige »Zerlegung« des politischen Lebens »in seine geheimsten
Bestandteile« wiederum erst durch die so junge Wissenschaft der Psycho-
analyse möglich geworden ist, die eben nichts anderes ist als die »geistige
Anatomie«, von der Ranke wie von einem frommen Wunsche spricht.

Die Erkenntnis aber, die unsere Methode für so viele Lebensgebiete,
darunter auch für die Politik, zu erschließen vermochte, sind durch die
mitteleuropäische Revolution einem wahren experimentum crucis unter-
worfen worden und wir dürfen heute schon sagen, daß hier die Wirklich-
keit der Theorie in keinem Punkte Unrecht gegeben hat.

Höchst eindrucksvoll ist der Beweis, den dafür indirekt die Broschüre
Federns bringt, die zwar zunächst für ein Laienpublikum berechnet ist, aber
auch dem Psychoanalytiker manches zu sagen hat/ zumal da die Bedeutung
der Vater-Imago für den Zusammenhang der Gemeinschaft bisher außer
in Freuds »Totem und Tabu« <4. Stück) nur mehr oder weniger kursorisch
oder innerhalb andersartiger Zusammenhänge abgehandelt worden war1. In
diesem Sinne erscheint mir besonders wertvoll die Aufdeckung der engen
Beziehung, die zwischen der Ablösung von der monarchischen Autorität
und der werbenden Kraft des Rätesystems besteht, in dem der Verfasser
eine unter analog psychischen Bedingungen zustande gekommene Wieder-
belebung der Brüdergesellschaft erblickt, wie sie sich nach Freud zwecks
Tötung des Vaters der Urhorde zusammengetan hat. — Der Verfasser
sieht in der Räteorganisation die Wirkungsform der aufbauenden Kräfte
der Revolution, während die Arbeitsunlust {Streikbewegung) und die zahl-
reichen Eigentumsvergehen, die er in einen gleichfalls wohlbegründeten
Zusammenhang mit der Ablösung von der fürstlich-väterlichen Autorität
bringt, zu den zerstörenden Tendenzen der Revolution zu zählen seien.

1 In eigener Sache bemerke ich, daß mir Federns Vortrag für meine zum
Teil dasselbe Thema behandelnde Arbeit »Der politische Mythus«, deren Entwurf
aus dem Jahre 1913 stammt, noch nicht Vorgelegen ist.
 
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