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Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften — 6.1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.25677#0303
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Bücher.

GEORGES BERGUER: Quelques traits de la vie de Jesus
au point de vue psycho logique et psychanalytique.

<Geneve et Paris, Edition Atar. 1920.)

Ein gefährlicheres Thema als das verliegende hätte ich mir kaum
denken können. Von zwei Seiten mußte sich der Verfasser auf Wider-
stand gefaßt machen: Diejenigen Theologen, die von der Psychoanalyse
nichts wissen wollen und in Neurotikerhaß bekanntlich Erkleckliches leisten,
ließen von vornherein ein Lamento furibondo erwarten. Es ist nicht aus»
geblieben. Vom vorwurfsvollen Seufzer, der dem bisher hochangesehenen
Professor der Theologie an der freien Fakultät Genfs und dem trefflichen
Pfarrer von Genthod gilt, bis zur wüsten Schimpferei über dekadentes
Psychologisieren eine nicht uninteressante Skala, und selbst die Kirche,
der unser Autor angehört, glaubte ihre Freiheit nicht schöner betätigen zu
können, als indem sie dem kühnen Forscher eine Rüge erteilte. Allerdings
fehlen auch aus theologischen Kreisen nicht die Stimmen wärmster und
dankbarster Anerkennung und es ist erfreulich, daß auch aus Laienkreisen
mit Bewunderung von dem tapferen Wahrheitszeugen geredet wird. So
schreibt mir eine tief religiös empfindende Genferin, die über die Ver»
folgung des ehrlichen und von reiner Gesinnung getriebenen Mannes betrübt
und empört ist, ironisch beginnend und ernst fortfahrend: »Manche Genfer
Christen bedauern, daß der Scheiterhaufen Servets ausgelöscht ist und daß
Calvin den Ketzer nicht mehr verbrennen kann. Glücklicherweise gibt es
neben ihnen auch einige Freunde und etliche Sympathie. Mir ist das Buch
wertvoll, es macht die Persönlichkeit Jesu lebendiger und menschlicher, es
ist ebensosehr ein Werk des Glaubens wie der Wissenschaft und dabei
ausgezeichnet geschrieben«.

Auf der anderen Seite werden manche Psychoanalytiker, wenn sie
den Titel lesen, den Kopf schütteln und sich fragen: Wie kann man Jesus
zu analysieren unternehmen? Wir besitzen doch nur so wenig authentisches
Material, seine Kindheit ist in völliges Dunkel gehüllt, erst im dreißigsten
Jahr redet er zu uns und auch aus dieser Zeit werden seine Worte von
den verschiedenen Evangelien mit großen Abweichungen berichtet. Wie
kann man da an eine aussichtsreiche Analyse denken?

Ich muß zugeben, daß Berguers Buch diese Bedenken nicht ganz zer»
streuen kann. Der Stoff ist nicht dazu angetan, die unbewußten Hinter»
gründe zu verraten, wie es etwa bei einem Jakob Boehme oder Zinzendorf
der Fall ist. Fast überall wird nur aus Analogie lebender Menschen ge»
schlossen und wer diese Erfahrungen nicht gemacht hat, muß den Eindruck
erhalten, Berguer habe willkürlich gewisse Hypothesen als gesicherte Theorien
herzugetragen und Jesus in diesen Rahmen gepfercht.

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