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Imago: Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften — 6.1920

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https://doi.org/10.11588/diglit.25677#0304
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Opportun war das Buch gewiß nicht. Ein Mann, der an seine Lauf-
bahn und äußere Erfolge dachte, hätte es nie und nimmer geschrieben.
Aber das Buch ist etwas Besseres: Das Zeugnis eines ehrlichen, wahrheits-
mutigen Mannes, der gleichermaßen für Jesus und die Psychoanalyse be-
geistert war und nicht anders konnte, als vor dem Tribunal seines Ge-
wissens sein Jesusbild zu reinigen und zu rechtfertigen. Wann das Geheul
der verständnislosen Religionspächter verstummt sein wird, wann die
Psychoanalyse nicht mehr das Scharreisen ist, an dem jeder Schwätzer in
psychologischen Dingen seine Schuhe abstreift, wird Berguers Werk auch
in weiten Kreisen die verdiente Würdigung finden, als ein Denkmal klaren
Forschens und tiefen, freien religiösen Glaubens.

In einer sehr langen, aber spannenden Einleitung behandelt Berguer
die Mysterienreligionen, deren Bedeutung für die Entwicklung der christ-
lichen Lehre bisher viel zu sehr vernachlässigt wurde, teils weil man sie
zu wenig kannte, teils weil sie jenen unbequem waren, die Einschläge
des Heidentums in den Zeddel christlicher Frömmigkeit als Erniedrigung
der letzteren betrachten. Schon hier zeigt Berguer neben imponierendem
Wissen eine herzerquickende Offenheit.

Im Hauptteil des Werkes bespricht der Verfasser Geburt, Kindheit
und Jugend Jesu, indem er die religionsgeschichtlichen Parallelen reichlich
würdigt und der Kritik maßvoll ihren verdienten Platz einräumt. Was die
Psychoanalyse über den Mythus von der Geburt des Helden im all-
gemeinen lehrt, findet er bei Jesus bestätigt. Es folgen Kapitel über die
Lehrweise, die Wunder, die Verklärungsgeschichte, die Persönlichkeit, den
Tod und die Auferstehung Jesu.

Jesus war in den Augen Berguers Psychoanalytiker, bevor es einen
Freud gab (97). Seine Heilungen vollzogen sich prinzipiell nicht anders, als
es die moderne Analyse erstrebt <1Z3>, wobei besonders auch die Über-
tragung auf Jesus hervorgehoben wird. In der Zentralidee Gottes als des
Vaters erblicken wir die Nachwirkung des Oedipuskomplexes <165), näm-
lich die Sublimierung der unvollkommenen Vatervorstellung, wie ander-
seits im Kampf gegen die schlechten Vaterbilder der Oedipushaß nachklingt
<171), In der Äuferstehungsgeschichte geht der Säkulartraum von der
Krönung der treuen Hingabe in den Tod für die höchsten Zwecke in Er-
füllung. Sehr scharf wendet sich der Autor gegen den Glauben an eine
leibliche Auferstehung, die er auch aus religiösen Gründen ablehnt.

Nach dem Lärm der Gegner könnte man annehmen, das ganze
Buch sei im Geiste des Umsturzes geschrieben. Davon ist gar keine Rede.
In mancher Hinsicht ist es sogar auffallend konservativ. So wird z. B. das
Johannesevangelium als authentische Quelle von Aussprüchen Jesu be-
trachtet, worin ihm kein einziger liberal gesinnter Theologe der deutschen
Schweiz folgen dürfte, aber auch sehr viele Angehörige der kirchlichen
Mittelpartei die Gefolgschaft aufsagten. Doch stören diese Einzelheiten die
Wissenschaftlichkeit des ganzen Werkes nicht.

In psychoanalytischer Hinsicht steht Berguer im ganzen durchaus
auf dem Boden Freuds. Aber gelegentlich <29 ff.) ehebt er Anleihen bei
der Schule Jungs, die er, den geschichtlichen Tatsachen zuwider, noch immer
die »Zürcher Schule« nennt. Einmal z. B. deutet er in Übereinstimmung
mit einem Schüler Jungs einen Traum doppelt, das eine Mal »kausal«, das
andere Mal »teleologisch«. Daß der Bruder aus dem Wagen geworfen und
der Vater beerdigt werden möge, soll der Wunsch der »kausalen« Deu-
 
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