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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 20.1909

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Breuer, Robert: Fachmann und Kritiker
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https://doi.org/10.11588/diglit.7500#0028

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INNEN-DEKORATION

PROFESSOR EMANUEL VON SEIDL - MUSCHEN.

Schloß Reknitz. Treppenhaus.

beispiel: Der kleine Tischler, der jahraus jahrein für
ein Abzahlungsgeschäft Schränke baut, wird kaum je
darüber nachgedacht haben, welche Stellung er inner-
halb des Wirtschaftsprozesses einnimmt, wie die Arbeits-
form, der er unterstellt ist, geworden, wie sie schwinden
wird. Und wenn man ihm sagte, daß er vom Stand-
punkt einer gesunden Volkswirtschaft unwiderruflich,
wenn auch gegen seinen Willen ein schwerer Schädling
sei, so wird er das leugnen, jedenfalls nicht begreifen.
Es ist eben nicht wahr, daß nur der über eine
Sache urteilen kann, der auf das Intimste mit ihr
verwandt ist. Im Gegenteil, je größer die Distanz, je
umfangreicher der Gesichtskreis, je pietätloser die Methode
des analytischen und synthetischen Denkens, desto eher
ist ein Urteil von allgemeiner Gültigkeit zu erwarten. —
Gewiß, wer Innenräume beurteilen will, muß die Ge-
schichte der menschlichen Wohnung, des Möbels und
mehr — die Geschichte der menschlichen Sitte, der
Wirtschaft und der Kultur studiert haben, muß sie in
sich lebendig tragen, daß er nicht eine tote Ausstattung,
sondern die Konzentration, den Niederschlag eines be-
stimmten Daseinskreises zu untersuchen, zu verstehen,
zu würdigen habe. Gewiß, er muß auch über die
Technik, das Material, den Arbeitsgang Bescheid wissen,
er muß es vermögen, den einzelnen Gegenstand und
seine Formen als das Produkt bestimmter Werkzeuge
und deren Bewegungen zu erkennen, er muß mit den

Sinnen nachzuspüren vermögen, ob diese Bewegungen
des Werkzeuges von Logik und Rhythmus beherrscht
waren. Aber er hat es keineswegs nötig, zu wissen,
ob und wieviel Schräubchen hier oder da eingezogen
sind, wieviel das Holz in dieser Saison kostet, ob- das
Modell in Schulzens Katalog gangbarer sein wird, als
das Original, an das Schulze sich angelehnt. Die
Fachleute sollten es sich abgewöhnen, gegen den Kri-
tiker mit dem Argument technischer Unwissenheit zu
demonstrieren. Ein Kritiker braucht nicht zu wissen,
wie man Leim kocht, oder wie man Nägel in den
Mund nimmt, ohne sie zu verschlucken; aber er wird,
wenn er nicht ein kompletter Ignorant, immer das
Zehnfache wissen von dem, was er notwendig wissen
müßte. Die Vorwürfe der Fachleute gegen den die
Geschichte kennenden und seinen Geschmack gebildet
habenden Kritiker wirken komisch; wie es komisch
gewesen wäre, wenn ein Zahnarzt oder selbst ein
Kliniker gegen Virchow den Vorwurf des Dilettanten
erhoben hätte.

* * *
Es ist übrigens seltsam, daß die wirklich großen
Künstler mit dem Kritiker keineswegs so arg unzu-
frieden sind, noch sich ihm gegenüber hitzig auf den
Fachmann berufen. Aber die Kleinen und Kleinsten,
die Rückständigen, die spitzen das Maul und locken
wider den Stachel. — Wie würde es denn nun sein,
 
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