Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 20.1909

DOI Artikel:
Widmer, Karl: Kleid und Wohnraum
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7500#0262

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
240

INNEN-DEKORATION

ARCH. A. SCHIEBER-STUTTGART. SCHLAFZIMMER. AMARANTH-HOLZ. DECKE AHORN. AUSF.: OERSON & WOLFF—STUTTGART.

alter der Technik und des Verkehrs zuerst einen eigenen
künstlerischen Ausdruck. Sie ist die letzte Tradition
eines selbständigen Stiltriebs und zugleich die erste
originale Stilschöpfung des neunzehnten Jahrhunderts.
Der Stil unserer Zeit kommt hier sogar noch früher
zum Bewußtsein seiner selbst, als in der Hauptschöpferin
und Trägerin unserer modernen materiellen Kultur: der
Maschine. Die ersten Maschinen glaubte man bekannt-
lich aus künstlerischen Gründen noch mit den Zöpfen
und Schnörkeln des historischen Kunstgewerbes auf-
putzen zu müssen, bis man erkannte, daß die künst-
lerische Schönheit der Maschine im Wesen der Maschine
liegt. Es ist deshalb die gleiche Verirrung, wenn
Künstler die moderne Männertracht für häßlich er-
klären, weil sie nicht malerisch ist und deshalb gewisse
Maskeradenkünste in Form und Farbe einführen möchten,
Es sind dieselben Grundsätze, die die Schönheit einer
modernen Maschine und die den Charakter der Eleganz
in der heutigen Männerkleidung bestimmen: Gediegenheit
in Material und Ausführung, Zweckmäßigkeit und Ein-
fachheit. Man weiß, wie diese Gesetze in allerneuester
Zeit sich auch die künstlerische Gestaltung unserer
Wohnhäuser, Möbel und Geräte unterworfen haben, so
daß sich also der Kreis wieder zu schließen beginnt,
der wie in früheren Zeiten den Menschen, seinen Wohn-
raum und seinen gesamten Haushalt in einer geschlossenen
und einheitlichen Welt eines künstlerischen Stils umfaßt.

Weniger sicher und konstant als die Männerkleidung
kommt freilich die Frauenmode in die Bahn einer

einheitlichen Entwicklung.
Gedanken durch, die eine
wie die Männertracht. Es

Zwar setzen sich gewisse
ähnliche Tendenz verraten,
ist der Chik des Einfachen
und Zweckmäßigen, der der Mode wenigstens auf
einzelnen Gebieten eine verhältnismäßig einheitliche
Grundrichtung vorschreibt. Das moderne Straßen-
kostüm, z. B. die knappen, fußfreien Kleider mit Rock
und Bluse haben sich durchgesetzt und werden sich
halten trotz aller Versuche, die begrabenen 1 Jrapierungs-
künste früherer Moden wieder einzuführen. Aber auf
dem Gebiet der eleganteren Toilette irrt unsere
Zeit noch immer von Extrem zu Extrem. Hier ist
die Formel noch nicht gefunden, die dem von dem
erotischen Zweck der Frauenkleidung unzertrennlichen
Abwechslungsbedürfnis gerecht wird, ohne den einheit-
lichen Rahmen der Entwicklung hilflos preiszugeben.
Das Schlimme ist eben, daß die Mode nicht allein
von dem ästhetischen Bedürfnis, sondern von der wirt-
schaftlichen Spekulation gemacht wird. Es darf sich
nichts halten, damit die Produzenten Geld verdienen.
Wir haben die gleiche Misere ja auch im Möbelgewerbe.
Das größte Hindernis für die Möglichkeit eines neuen Stils
ist heutzutage der Markt, der keine gesunde und einheit-
liche Entwicklung dulden will, weil sie nach den heutigen
Anschauungen nicht im Interesse des Geschäfts liegt.
 
Annotationen