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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 49.1938

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Schönheit und Zweckbindung
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https://doi.org/10.11588/diglit.10945#0204

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190 INNEN-DEKORATION

»TAFEL-AUFSATZ«
SILBER VERGOLDET
ENTW. PROFESSOR
OSWALD HAERDTL

SCHÖNHEIT UND ZWECKBINDUNG

Manchmal haben wir vor einem kostbar ausge-
führten Gebrauchsgegenstand die zarte und
scheue Empfindung, er sei für eine Benutzung zu
schön. Das ist eine Empfindung edler Art, die als
solche durchaus Respekt verdient. Sie bekundet ein
waches Gefühl dafür, daß Schönheit in der Tat »Von
oben« kommt und überall, wo sie auftritt, über die
Welt der Zwecke hinausdeutet in eine Sphäre des
Geistes, der Freiheit. Lassen wir aber im Ernst jene
Scheu in uns Herr werden, lassen wir sie in uns so
selbständig werden, daß wir die schöne, kostbare
Form gar nicht mehr mit den Begriffen des Zweckes
und des Gebrauchs zusammendenken mögen, so
schneiden wir eine Bindung entzwei, an deren Er-
haltung sehr vieles gelegen ist. Auch vor der Schön-
heit eines lebendigen Menschen kann uns Bewunde-
rung mit Scheu gepaart ergreifen. Wäre es aber
richtig gedacht, wenn wir daraus die Folgerung
zögen: Wegen seiner Schönheit sei dieser Mensch
aus den Diensten und Zwecken des Lebens heraus-
zulösen und gleichsam als ein Bild in eine Nische zu
stellen ? - Gewiß nicht. Denn man nähme damit
diesem schönen Menschenbild den fruchtbaren Erd-
boden, aus dem seine Schönheit die immerwährende

Erfrischung, den lebendigen Nachschub zu ziehen
hat. Wenn Schönheit ein Mächtigwerden des Gei-
stes im Stoffe ist, so ist es doch der Stoff allein, in dem
der Geist mächtig werden kann und will. Schönheit
»verirrt« sich also nicht, wenn sie sich an Lebens-
zwecke bindet. Denn daß Oberes und Unteres, Freies
und Gebundenes überall in echte Lebensnähe zuein-
ander kommen, ist das größte, ja das zentrale An-
liegen unsrer Menschenwelt.

Wohl aber darf uns jene Scheu vor dem Ge-
brauchen eines schöngeformten Dinges eine andre
Mahnung bringen. Das ist die Mahnung, die Frage,
ob nicht unser gewöhnliches Gebrauchen ein schlech-
tes, ein dank- und gedankenloses Gebrauchen ist, in
dem wir selber unsre eigne Zugehörigkeit zum Oben
und Unten, zur Welt der Zwecke und zur Welt der
geistigen Freiheit verleugnen. Seht doch einem
schönen Gebrauchsgegenstand recht ins Gesicht, ins
Herz! Ist es denn wahr, daß er sich dem Gebrauch
entziehen will? Will er nicht vielmehr uns unsrer
eignen Verzweckung, unsrer Gedanken- und Leb-
losigkeit entziehen, indem er uns mitten im Tages-
lauf, eben durch seinen Adel und seine Schönheit,
unsre Teilhabe an höheren Wertreihen fühlen läßt?
 
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