DOI Artikel:
Einfachheit und Kultur
DOI Seite / Zitierlink: https://doi.org/10.11588/diglit.10945#0275
INN EN-DEKORATION
261
eine außerordentlich seltene Sache. Es klingt so leicht Rang und Geltung haben soll, ist somit Ergebnis
erreichbar, wenn man sagen hört: sei einfach, rede höchster Ausreifung.
schlicht, gib dich, wie du bist; drücke dich in Wort Von hier aus ergeben sich einige Abgrenzungen,
und Gebärde unverstellt und schicklich aus; lege die gerade auch im Bezirk künstlerischer Lebensge-
falsche Ansprüche ab und kehre in allem, was du staltung, Heimgestaltung und Möbelformung Be-
tust, die klaren Grundlinien deines Wesens hervor. achtung verdienen. Einfachheit muß Überwindung
Aber nicht immer wird bedacht, daß damit Forde- und Verarbeitung und Durchbruch sein, nicht Primi-
rungen gestellt sind, die sich nur bei hoher persön- tivität. Einfachheit ist nicht Leere, sondern bewäl-
licher Kultur erfüllen lassen. Denn unser Weg im tigte Inhaltsfülle. Einfachheit ergibt sich nur als Tat
tätigen Leben fängt immer mit der Kompliziertheit und Leistung, nicht aber im Ausweichen vor den
an. Zwar lebt das Kind am Grund unsres Wesens Dingen; sie ist Höhepunkt und Ende, nicht der aufs
immer fort. Aber auf diese kindliche Schicht lagert Geratewohl riskierte Anfang. Einfachheit ist nicht
sich Lernstoff, Bildungsstoff, den wir alle nötig ha- Auslassen und Reduzieren, sondern errungener Sieg
ben, um erwachsene Menschen und Teilhaber des uns der lebendigen Einheit über sperrige Vielheit. Nicht
zugedachten Kultur-Erbes zu werden. Und diese un- die Einfachheit vor der Komplizierung, sondern
umgänglich nötigen Erwerbungen gehen zunächst über und jenseits der Komplizierung ist der Wert,
keine klare Verbindung mit unserem Grundwesen auf den wir mit dem Worte Einfachheit abzielen,
ein. Sie bereichern uns, aber sie stören uns auch. Sie Eine einfache Form ist dann schön und werttragend,
setzen uns erst die eigentliche, schwere Aufgabe jeder wenn sie zu fühlen gibt: In mir ist viel Unruhe und
Menschwerdung: das Erworbene uns anzugleichen Gegeneinander schlafen gegangen, viele Aspekte und
und es so innig in unser Wesen hereinzuziehen, daß Möglichkeiten haben sich in mir gestillt und leben
dieses schließlich in seiner »Einfachheit« wieder durch- doch in mir fort als geheime Spannung, als Geladen-
scheint. Einfachheit, die inmitten unsrer Kulturwelt heit mit Wesen, Geist und Bedeutung. - r. st.
architekt edgar horstmann »anrichte« deutsches birnbaumholz mit weissem ahorn
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eine außerordentlich seltene Sache. Es klingt so leicht Rang und Geltung haben soll, ist somit Ergebnis
erreichbar, wenn man sagen hört: sei einfach, rede höchster Ausreifung.
schlicht, gib dich, wie du bist; drücke dich in Wort Von hier aus ergeben sich einige Abgrenzungen,
und Gebärde unverstellt und schicklich aus; lege die gerade auch im Bezirk künstlerischer Lebensge-
falsche Ansprüche ab und kehre in allem, was du staltung, Heimgestaltung und Möbelformung Be-
tust, die klaren Grundlinien deines Wesens hervor. achtung verdienen. Einfachheit muß Überwindung
Aber nicht immer wird bedacht, daß damit Forde- und Verarbeitung und Durchbruch sein, nicht Primi-
rungen gestellt sind, die sich nur bei hoher persön- tivität. Einfachheit ist nicht Leere, sondern bewäl-
licher Kultur erfüllen lassen. Denn unser Weg im tigte Inhaltsfülle. Einfachheit ergibt sich nur als Tat
tätigen Leben fängt immer mit der Kompliziertheit und Leistung, nicht aber im Ausweichen vor den
an. Zwar lebt das Kind am Grund unsres Wesens Dingen; sie ist Höhepunkt und Ende, nicht der aufs
immer fort. Aber auf diese kindliche Schicht lagert Geratewohl riskierte Anfang. Einfachheit ist nicht
sich Lernstoff, Bildungsstoff, den wir alle nötig ha- Auslassen und Reduzieren, sondern errungener Sieg
ben, um erwachsene Menschen und Teilhaber des uns der lebendigen Einheit über sperrige Vielheit. Nicht
zugedachten Kultur-Erbes zu werden. Und diese un- die Einfachheit vor der Komplizierung, sondern
umgänglich nötigen Erwerbungen gehen zunächst über und jenseits der Komplizierung ist der Wert,
keine klare Verbindung mit unserem Grundwesen auf den wir mit dem Worte Einfachheit abzielen,
ein. Sie bereichern uns, aber sie stören uns auch. Sie Eine einfache Form ist dann schön und werttragend,
setzen uns erst die eigentliche, schwere Aufgabe jeder wenn sie zu fühlen gibt: In mir ist viel Unruhe und
Menschwerdung: das Erworbene uns anzugleichen Gegeneinander schlafen gegangen, viele Aspekte und
und es so innig in unser Wesen hereinzuziehen, daß Möglichkeiten haben sich in mir gestillt und leben
dieses schließlich in seiner »Einfachheit« wieder durch- doch in mir fort als geheime Spannung, als Geladen-
scheint. Einfachheit, die inmitten unsrer Kulturwelt heit mit Wesen, Geist und Bedeutung. - r. st.
architekt edgar horstmann »anrichte« deutsches birnbaumholz mit weissem ahorn