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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 49.1938

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Schönheit als "Wert"
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https://doi.org/10.11588/diglit.10945#0336

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322

INNEN-DEKORATION

»LANDHAUS F.B.« WOHNRAUM - TQR ZUR HALLE UND MÖBEL: NUSS BAUM-MASER, LINKS: RADIO - UND NOTENSCHRANK

SCHÖNHEIT ALS »WERT

illiam Morris, der große geistige Führer in der
Erneuerungsbewegung der europäischen Wohn-
kultur, schreibt in seinem Buche »Kunsthoffnungen
und Kunstsorgen«: »Sie können Ihre Wände mit ge-
wirkten Tapeten behängen, statt sie zu weißen oder
mit Papiertapeten zu bekleben; oder Sie können sie
mit Mosaikarbeiten bedecken oder durch einen
großen Maler Fresken darauf anbringen lassen: all
dies ist nicht Luxus, wenn es um der Schönheit
willen und nicht zur Schaustellung geschieht.«

Hier steht: um der Schönheit willen! Der größte
Aufwand in der Wohnung — so ist der Gedanke —
hat seine Rechtfertigung, wenn er dem reinen Zwecke
der Schönheit und nicht etwa der leeren Hervor-
kehrung von Besitz und Reichtum dient. Und hinter
diesem Gedanken erhebt sich der andere, der uns in
den letzten Jahrzehnten so fremd geworden war:
Schönheit an sich hat mit Wert zu tun; Schönheit
ist ein Wert, der keiner zusätzlichen Begründung
oder gar Entschuldigung bedarf. Aufwand, Arbeit,
Opfer zum Dienste der Schönheit sind nicht Luxus,

sondern haben eine unmittelbare Beziehung zu dem
einen großen Ziel des erfüllten Menschenlebens.

Warum war dieser Gedanke den Menschen einer
neuen, strengen Zeit fremd geworden? — Wir können
die Ursache heute klarer erkennen, als das noch vor
kurzem möglich war. Wir sehen heute, daß die Dis-
kreditierung des Wertes Schönheit erfolgt ist, weil
eine dürre, lebensarme Zeit, die Zeit des beginnenden
Kulturzerfalls am Ausgang des 19. Jahrhunderts,
die lebendige Einheit der Menschengestalt
verloren hatte. Es war die Zeit, gegen die Nietzsche
mit seinen »Unzeitgemäßen Betrachtungen« als erster
protestiert hatte; die Zeit, da die »Bildung«, das
»Wissen«, das historische Bewußtsein sich aus dem
menschlichen Seinszusammenhang herausgerissen
und selbständig gemacht hatten. Bewußtsein über-
wucherte das Sein, Wissen um Bildung wollte als
Bildung, Wissen um die Werte als erfülltes Men-
schentum gelten. Das Denken verließ die Lebens-
bindung und machte sich auf hundert verschiedene
Arten »autonom«, in der Wissenschaft wie in der
 
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