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Innendekoration: mein Heim, mein Stolz ; die gesamte Wohnungskunst in Bild und Wort — 49.1938

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Michel, Wilhelm: Rede über das Nüchterne
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https://doi.org/10.11588/diglit.10945#0352

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338

INN EN-DEKORATION

ersten, Tiefpunkt im zwei-
ten Falle - und diesen
zweiten Fall pflegen wir zu
meinen, wenn wir in ver-
neinendem Sinne von der
Nüchternheit reden. Auch
sie hat mit »Geist«, mit
»Verstand« zu tun, aber
mit herzlosem Geist, mit
zersetzendem Verstand,
der bloß schnöde Kritik
und kalter, ablehnender
Sarkasmus ist.

Hier liegen wichtige
Unterschiede, und sie muß
jeder Mensch einmal ins
Auge fassen, um sich über
den eigenen inneren Ge-
müts-Haushalt und um
gewisse Fragen seiner Le-
bensgestaltung klar zu
werden. Auf den Kupfer-
stichen von Chodowiecki,
in den Gemälden eines
Kaspar David Friedrich,
später in den Bildern und
Zeichnungen eines Moritz
v. Schwind, eines Ludwig
Richter sehen wir Innen-
räume erscheinen, die et-
was Äußerstes an Nüch-
ternheit darstellen. Auf
steifen Stühlen sitzen die
Kinder,an schmalen,hoch-
4*£^H und dünnbeinigen Pulten,

^■'jL^J^^BKr H^^^l^^i I in kahlen, schmucklosen

^ , ^/m T~"""~ <! Ateliers wird gearbeitet.

^^^HjjBB Und doch ist alles auf eine

geheime, oft rührende
W*"^ ^yfl I Weise beseelt. Die For-

j^k men sind karg, aber eine

feine Melodik belebt sie,
^^^^HH schöne, gewissenhafte Ar-

tt\^M^^^^^^^^3^^^^SSwB^t^ JBH^^^^H^^^^B beit und edles Holz gibt

ihnen einen verschwiege-

haus f. in kassel-wilhelmshöhe »zimmer der dame« beweglicher toilettenspiegel nen Adel. Es ist Nüchtern-

eingebauter garderobeschrank: hellgrau Schleiflack mit silbernuten heit; aber keine, die den

Geist und die Seele erkäl-
tet oder zurückscheucht;
keineNüchternheit, welche

diese Art Nüchternheit mit der andern, hohen Art in die Kinnladen zusammenbeißt und alles Gefühlsleben
der Weise zusammenbringen, daß man sagt: während sarkastisch belächelt, sondern eine stille, eine »ver-
die schöne, die morgenfrühe Nüchternheit im täg- sonnene« und (um den Wortklang ein wenig spielen
liehen Leben das Ergebnis einer gesegnet durchschla- zu lassen) eine besonnte Besonnenheit. Wohl ist es
fenen Nacht ist, kommt die böse, die häßliche Nüch- Kühle, die aus solchen Raumgestaltungen spricht,
ternheit geradezu durch Schlafentziehung zustande. Aber zur Kühle, d. h. zu einer festen, stillen Geistig-
ist die erste ein Zustand gesunder Lebensfülle, so ist keit, die mit willensklarer Seele das Brünstige, das
die zweite ein Zustand der Lebenserlöschung, ver- Schwüle in Schach hält, hat das deutsche Wesen seit
wandt der Nüchternheit des Todes. Höhepunkt im je ein bestimmtes Verhältnis. Wir lieben in der Ge-
 
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