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Jahrbuch für den Zeichen- und Kunstunterricht — 4.1909

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Heft 4
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I. Zeitstimmen
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Friese, Georg: Eine Studienfahrt nach Schottland und England zum dritten internationalen Kunstkongress in London
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https://doi.org/10.11588/diglit.74114#0273

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G. Friese. Eine Studienfahrt nach Schottland und England.

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näherten, war dieselbe, da es Abend geworden war, im Innern erleuchtet, und da
wir Gottesdienst vermuteten, traten wir ein, um an demselben teilzunehmen.
Das Innere der Westminster Abbey macht bei Abend einen wunderbar er-
greifenden, mystischen Eindruck, den man niemals wieder vergißt. Die ungemein
reiche Architektur, die zahlreichen Denkmäler wirken in dem Halbdunkel wunder-
bar aufs Gemüt, das durch die Klänge der prachtvollen Orgel sowie durch den
schönen Chorgesang noch besonders empfänglich gemacht wird.
Einer der ersten Wege galt dem British Museum. Dasselbe imponiert im Äußeren
nicht, liegt auch an Seitenstraßen ziemlich versteckt. Aber die Schätze im Innern!
Unbeschreiblich. Da müßte man Wochen, ja Monate zur Verfügung haben, um
auch nur einigermaßen gründlich studieren zu können. Wir sind recht oft hinge-
gangen, konnten aber doch nur einen Überblick über all diese Schätze gewinnen.
Kein Museum der Welt besitzt eine solche Fülle von hervorragenden Kunstgegen-
ständen, wie das Britisch Museum. Wie die Werke des Phidias, der plastische
Schmuck des Parthenon, an der Spitze der Werke der Bildhauerkunst stehen, so
zeigen alle Abteilungen nur das Allerbeste und Allerseltenste. Wo findet man z. B.
eine solche Fülle herrlicher Miniaturen, Goldschmuck, Vasen und Porzellane ver-
einigt, wo sieht man so großartige ägyptische Plastik und Kleinkunst, Mumien und
Sarkophage, assyrische Platten mit dem riesigen Figurenschmuck? Welche Fülle
von Anregungen, welche künstlerischen Genüsse bietet dieses großartigste Museum
der Welt! Die Gemälde sind aber nicht in diesem Museum enthalten. Die haben
vor allem in der National-Gallery und National-Portrait-Gallery am Trafalgar-Square
eine Stätte gefunden, soweit ältere Kunst in Betracht kommt, während moderne
englische Kunst in der Tate-Gallery bei Vauxhall-Bridge untergebracht ist. Soviel
Galerien man auch gesehen haben mag, eine solche Fülle von Meisterwerken
allerersten Ranges von fast allen großen Malern, wie sie die National-Gillery birgt,
wird man vergeblich auch in Rom und Florenz suchen. Der Eindruck ist geradezu
überwältigend. Raffael, Tizian, Rubens, Rembrandt, Velasquez, Murillo sind in ihren
großartigsten Werken vertreten und die Meisterwerke eines Hogarth, Reynold,
Gainsborough, Romney, Turner kann man an keiner Stelle so studieren wie hier.
Auch nach diesen Galerien muß man recht oft gehen, um nur einen Überblick über
die ausgestellten Herrlichkeiten zu erhalten. Hier erst lernt man die englische
Porträt- und Landschaftkunst hochachten. Die National-Portrait-Gallery hat mehr
historische Bedeutung, obgleich auch sie eine ganze Anzahl hervorragender Kunst-
werke enthält, wie z. B. eine Reihe prächtiger Porträts von Watts. Die Tate-
Gallery, von Sir Henry Tate erbaut und mit 65 Gemälden neuerer Kunst der Nation
geschenkt, heißt jetzt National-Gallery of British Art.
Unter all den herrlichen modernen englischen Werken, zu denen auch einige
ausländische, meist französische kommen, ragt das ideale Werk von G. F. Watts
hervor, der eine ganze Kollektion großer Kompositionen der Nation geschenkt hat.
Ein großer Saal ist damit angefüllt, und man wird nicht satt, diese hervorragenden
Kunstwerke immer von neuem zu bewundern. Nicht nur der hohe Idealismus,
der in den tiefen philosophischen Gedanken seiner Bilder zum Ausdruck gelangt,
bezwingt den Beschauer, sondern der hohe malerische Reiz und die herrliche
Schönheit der Komposition vor allem sprechen zu uns eine beredte Sprache und
laden zu immer neuem Genuß ein. Noch nie hat das Werk eines Künstlers so
ergreifend auf mich gewirkt wie dasjenige von Watts. Von wunderbarer Einfachheit
der Komposition und doch von entzückender malerischer Wirkung zeigte sich z. B.
das Bild „Denn er war sehr reich". Ebenso herrlich waren Hoffnung, Liebe und
Leben, Liebe und Tod, der Geist des Christentums usw. Ich möchte gern hier
auf das Studium von Watts Werken hinweisen, die auch in den bekannten Künstler-
Monographien enthalten sind.
Eine andere großartige Sammlung ist die Wallace-Collection, von Lady Wallace
der englischen Nation vermacht. Sie befindet sich in Herford House am Manchester-
Square. Die Gemälde-Galerie enthält ebenfalls eine große Fülle der herrlichsten
Meisterwerke: Van Dyk, Rembrandt, Rubens, Franz Hals, Murillo sowie zahlreiche
Franzosen. Neben den Gemälden zeigen die Säle prachtvolle Prunkmöbel und
Porzellan, Gläser und sonstige Kunstwerke. Ganz herrlich ist die Waffensammlung,
die nur künstlerisch hervorragende Stücke aufweist. Eine andere wertvolle Waffen-
sammlung, bei der aber der künstlerische Standpunkt weniger maßgebend gewesen
ist, sieht man im Tower, wo auch die Kronjuwelen und Insignien aufbewahrt werden.
Friese, Jahrbuch IV, 4. ff
 
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