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Keller, Erwin; Ziegelmayer, Gerfried; Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege [Mitarb.]
Das spätrömische Gräberfeld von Neuburg an der Donau — Materialhefte zur bayerischen Vorgeschichte, Band 40: Kallmünz/​Opf.: Lassleben, 1979

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.70705#0015

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EINLEITUNG

Der spätrömische Bestattungsplatz von Neuburg
a. d. Donau, der zu einem befestigten Ort am rae-
tischen Iller-Donau-Limes gehörte (Taf. 1 a, 4.8;
17; Abb. 6 a), ist der erste in diesem Grenzabschnitt,
der nahezu vollständig und nach modernen Ge-
sichtspunkten freigelegt werden konnte, wenn man
von den Substanzverlusten absieht, die bei der Ent-
deckung von Flachgräberfeldern immer entstehen L
Zu diesen Grundbedingungen für eine umfassende
wissenschaftliche Auswertung kommen zwei Fakto-
ren, die den Aufbau und das Forschungsziel der
Arbeit bestimmen: die innere Gliederung der Ne-
kropole in drei archäologisch eigenständige Zonen
und die Tatsache, daß sich unter die zahlenmäßig
überwiegenden provinzialrömischen Fundstücke elb-
germanische in den Zonen 1 und 2 sowie vermutlich
ostgermanische in Zone 3 in wechselnden Anteilen
mischen. Aus diesen in der Fund- und Befundana-
lyse eingehend begründeten Sachverhalten leiten
sich drei Fragen ab, die die Kernprobleme der Un-
tersuchung auf einen kurzen Nenner bringen: Liegt
in Neuburg a. d. Donau ein Kastellfriedhof für sich
ablösende Besatzungen vor? Gelangte das Fremd-
gut in den Grabinventaren auf dem Handelswege
oder durch Zuwanderung germanischer Stammes-
gruppen in die Raetia secunda? Wurden in den
Teilfriedhöfen 1—3 ethnisch gleiche oder ethnisch
verschiedene Bevölkerungen beigesetzt?
Am schwierigsten gestaltet sich dabei der Versuch,
die Herkunft und das Volkstum der Toten zu be-
stimmen, weil die Beweislast ausschließlich auf In-
dizien ruht, die sich aus der antiquarischen Behand-
lung von Grabausstattungen und Totenbräuchen er-
geben. Hinzu kommt, daß ein mengenmäßig äußerst
bescheidenes Beigabenvolumen die Interpretations-
möglichkeiten nicht nur auf ethnischem, sondern auch
auf chronologischem, tracht-, sozial- und wirtschafts-
geschichtlichem Gebiet zusätzlich einengt. Hindernd
wirkt sich ferner aus, daß in den Rhein- wie in den
Donauprovinzen des spätrömischen Reiches vor-
erst Nekropolen fehlen, die sich direkt mit dem
Neuburger Friedhof vergleichen lassen. Aus diesen

Gründen überrascht es nicht, daß Wahrscheinlich-
keitsbeweise und Arbeitshypothesen nicht selten
den einzigen Behelf bilden, dem Quellenstoff hi-
storische Aussagen abzuringen. Ganz so schlecht,
wie es scheint, ist es um das Gesamtergebnis der
Arbeit indes auch wieder nicht bestellt, denn die
von der Anthropologie an einem überdurchschnitt-
lich gut erhaltenen Skelettmaterial durchgeführten
Untersuchungen ergaben, daß in den drei Bele-
gungszonen Angehörige verschiedener ethnischer
Gruppen bestattet wurden und in den einzelnen
Gruppen ein auffallend hoher Männerüberschuß
herrschte. In Kombination mit archäologischen
Fakten belegen diese Erkenntnisse nicht nur die
Nutzung des Gräberfeldes durch Militär, sie näh-
ren auch den aus der Fundzusammensetzung schöpf-
baren Verdacht, daß in Neuburg a. d. Donau wäh-
rend des 4. Jahrhunderts germanische Söldner sta-
tioniert waren.
Diese Einsichten ändern aber nichts daran, daß in
Südbayern die ethnischen Probleme auf lange Sicht
noch deutlicher bleiben werden als die Lösungen;
denn das, was aus dem behandelten Fall als gesicher-
ter Ergebnisbestand zufließt, kann sich in überein-
stimmender oder modifizierter Form am Iller-Do-
nau-Limes wiederholen. Es wäre aber ein Trugschluß,
davon auszugehen, daß der Neuburger Bestattungs-
platz auch das Schlüsselmaterial für die Beurtei-
lung der Bevölkerungsverhältnisse im Hinterland
der Provinz enthalte, in dem es zwar ebenfalls,
aber wohl unter anderen Voraussetzungen als an
der Grenze, zur Einbürgerung barbarischer Stam-
mesgruppen kam 2.
Wenngleich die Erörterung bevölkerungsgeschichtli-
cher Fragen das zentrale Thema der Untersuchun-
gen ist, so verliert dadurch der provinzialrömische
Fundstoff nichts von seinem wissenschaftlichen
Wert, liefert er doch Hinweise auf innerrömische
Handels- und Verkehrsbeziehungen, und nicht nur
das. Auf ihm gründet schließlich die Chronologie
der Nekropole und damit auch die Altersbestim-
mung der mit ihm kombinierten fremden Elemente.

1) Zum Erforschungs- und Bearbeitungsstand der am Iller-Donau-Limes gelegenen Nekropolen vgl. Keller 1971,
160 ff. und S. von Schnurbein, Das römische Gräberfeld von Regensburg. Materialh. z. bayer. Vorgesch. A 31
(1977).

2) Keller 1971, 175 ff.

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