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Keller, Erwin; Ziegelmayer, Gerfried; Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege [Mitarb.]
Das spätrömische Gräberfeld von Neuburg an der Donau — Materialhefte zur bayerischen Vorgeschichte, Band 40: Kallmünz/​Opf.: Lassleben, 1979

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https://doi.org/10.11588/diglit.70705#0061

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und eiserne Gürtelbesätze aus vier Männergräbern,
die man zur römischen Militärtracht rechnen darf281.
Dieser für die Masse aller spätrömischen Gräber-
felder typische Befund geht, das ist seit langem be-
kannt, darauf zurück, daß die Waffen von Ange-
hörigen des regulären Heeres nach deren Ausschei-
den aus der Armee an den Staat zurückfielen und
somit nicht als Grabbeigaben verwendet werden
konnten 282. Auswärtige Befunde belegen zwar auch
Ausnahmen von dieser Regel, bezeichnend ist es
aber doch, daß es z. B. in den großen linksrheini-
schen Kastellfriedhöfen von Krefeld-Gellep und
Oudenburg unverhältnismäßig weniger Waffen-
gräber gibt als in den Nekropolen fränkischer Son-
dereinheiten des nordfranzösisch-belgischen Rau-
mes 283.
Welche Bedeutung anthropologischen Geschlechts-
diagnosen im Blick auf die saubere Scheidung von
Militär- und Zivilfriedhöfen zukommt, zeigt sich
auch am Beispiel des binnenraetischen Bestattungs-
platzes von Weßling, Ldkr. Starnberg, der zu einer
unbefestigten ländlichen Siedlung gehörte. Auf eine
erste spätrömische Belegungsphase mit Körpergrä-
bern, die vom Ende des 3. bis zur Mitte des 4. Jahr-
hunderts reicht, folgt eine zweite mit Körper- und
Brandgräbern, die die zweite Jahrhunderthälfte

ausfüllt. Die ältere Körpergräbergruppe, die man
aufgrund des Fundstoffs Zivilpersonen zuschreiben
möchte, umfaßt bei vier nicht beurteilbaren Fällen
sechs erwachsene Männer und sieben erwachsene
Frauen, so daß sich ein nahezu ausgewogenes Ge-
schlechterverhältnis einstellt. Bei den jüngeren Be-
stattungen der Belegungsphase 2, die sich aufgrund
von punz- und kerbschnittverzierten Gürteln als
Militärpersonen erweisen, handelt es sich jedoch
ausschließlich um Männer, so daß die Annahme, die
Siedlung sei in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhun-
derts unter Heeresaufsicht geraten, zu Recht be-
steht 284.
Beim Versuch, die Gebiete zu lokalisieren, in denen
die Gürtelteile der Neuburger Männergräber 16,
44, 47 und 65 hergestellt worden sein könnten, hat
sich übereinstimmend ergeben, daß sie typische Be-
standteile eines Formenkreises sind, der sich von
Nordfrankreich und Belgien über das alamannische
Südwestdeutschland bis nach Raetien erstreckte. Auf
diese Weise ließ sich zwar klären, daß man in
Zone 2 des Neuburger Friedhofs Angehörige des
spätrömischen Westheeres bestattete 285, Hinweise
auf die Nationalität der betreffenden Männer lie-
ferten die Grabinventare indes nicht.

DAS GERMANISCHE ELEMENT IM FUNDBESTAND

Die in Neuburg a. d. Donau erhobenen Befunde
bestätigen die schon 1971 geäußerte Ansicht, daß
es in der Raetia II seit der constantinischen Zeit
in verstärktem Maße zur Einbürgerung barbarischer
Volksgruppen kam 286. Hinter diesen durch schrift-
liche Nachrichten nicht beleuchteten und in ihrem
Umfang noch nicht klar überblickbaren Vorgängen
werden jedenfalls staatlich gelenkte Aktionen sicht-
bar, die darauf abzielten, die Wirtschaft und die
Armee des durch die Germaneneinfälle der zweiten
Hälfte des 3. Jahrhunderts hart betroffenen Landes
zu stärken.
Während wir aus Gründen des Forschungsstandes
noch keine konkreten Vorstellungen über die Zahl,

die Verteilung und Organisation germanischer Nie-
derlassungen im Hinterland der Provinz entwickeln
können und letztlich nicht einmal wissen, ob diese
Zuwanderungen in einem Zuge oder zeitlich gestaf-
felt erfolgten 287, enthüllt die Neuburger Nekropole
wenigstens in groben Umrissen das strategische
Konzept, das Rom zur Verteidigung der raetischen
Nordgrenze anwandte. So ist nicht daran zu
zweifeln, daß die Sicherung des Neuburger Do-
nauabschnitts im mittleren Drittel des 4. Jahr-
hunderst in alamannisch-juthungischen Händen lag.
Klare Hinweise auf die Herkunft der Teilbevölke-
rung 1 ergeben sich aus den mit elbgermanischem
Formengut durchsetzten Grabinventaren, wobei es

281) Vgl. dazu die Ausführungen zu den Gürtelteilen aus den Gräbern 16 (S. 40), 44 (S. 41), 47 (S. 41 f.) und 65
(S. 42).

282) van Dorselaer 1967, S. 191 ff.

283) Böhme 1974, 166 ff.

284) Keller 1971, 145 ff.

285) Wie Anm. 281.

286) Keller 1971, 182.

287) Ein Zusammenstellung des bis 1971 bekannt gewordenen Materials findet sich bei Keller 1971, 178 f.

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