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Keller, Erwin; Ziegelmayer, Gerfried; Bayerisches Landesamt für Denkmalpflege [Mitarb.]
Das spätrömische Gräberfeld von Neuburg an der Donau — Materialhefte zur bayerischen Vorgeschichte, Band 40: Kallmünz/​Opf.: Lassleben, 1979

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.70705#0058

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BESTATTUNGSSITTEN

SKELETTORIENTIERUNG
UND BEIGABENHÄUFIGKEIT
A. van Doorselaer hat 1967 in einer methodisch-
kritischen Untersuchung die Chancen, aus der
Orientierung spätrömischer Körperbestattungen
chronologisch, ethnisch und religionsgeschichtlich
auswertbare Schlüsse ziehen zu können, skeptisch
beurteilt Im gleichen Zusammenhang versuchte
er auch darzutun, daß der in der zweiten Hälfte
des 4. Jahrhunderts in vielen Nekropolen seines
Arbeitsgebietes beobachtbare Rückgang der Bei-
gaben nicht nur durch das Einfließen christlicher
Glaubensvorstellungen in den Totenbrauch bedingt
sein muß 262. Bei oberflächlich-statistischer Betrach-
tungsweise dieser Fragen scheint es auf den ersten
Blick einfach, van Doorselaers Skepsis für unange-
bracht zu halten, denn die „christliche" Westost-
orientierung der Toten steigt im Gräberfeld von
knapp 13 % in Zone 1 auf 33,3 % in Zone 2 und
auf 100% in Zone 3 an (S. 17), während der An-
teil der Beigabengräber in der gleichen Richtung von
33,3% in Zone 1 (S. 21), auf rund 28% in Zone 2
(S. 37) und auf 20% in Zone 3 absinkt (S. 46).
Grundsätzlich wäre es natürlich denkbar, daß auf
dem Neuburger Friedhof Christen bestattet wur-
den. Derartige Überlegungen bleiben aber solange
Spekulation, als sie sich nicht auf Funde christlichen
Charakters oder historisch überlieferte Nachrichten
stützen können. Auf welch unsicherem Boden solche
Vorstellungen gründen, zeigt sich, wenn man ein
anderes angeblich christliches Indiz, die im Gebets-
gestus gefalteten Hände, in die Betrachtungen ein-
bezieht, die wesentlich häufiger bei Ostwest — als
bei Westostbestattungen anzutreffen sind 263.
Abgesehen von den Schwierigkeiten methodischer
Art, die sich beim Versuch ergeben, aus Orientie-
rung und Haltung der Toten auf deren Glaubens-
bekenntnis zu schließen, ist immer im Auge zu be-
halten, daß das behandelte Gräberfeld einen Son-
derfall insofern darstellt, als wir in ihm vermutlich
drei germanische Teilbevölkerungen erfassen (vgl. S.
55 ff.), die in rascher Folge nach Neuburg a. d. Do-
nau verpflanzt wurden, so daß von einer kontinuier-
lichen Christianisierung keine Rede sein könnte.

Audi die in Neuburg a. d. Donau feststellbare Ab-
nahme der Beigabenhäufigkeit von den älteren zu
den jüngeren Friedhofsarealen scheint nicht christ-
lich-religiös motiviert zu sein, denn die ohnehin
kaum ins Gewicht fallenden Unterschiede zwischen
den Zonen 1 und 2 (33,3 % : 28 %) gehen aus-
schließlich darauf zurück, daß Zone 2 bei einem
Verhältnis von 12 : 5 mehr als doppelt soviele Kin-
dergräber aufweist als Zone 1. Da männliche Kin-
der nie, weibliche nur selten mit Beigaben ausge-
stattet wurden 264, gäbe es, wenn man dies in Rech-
nung stellt, in Zone 2 prozentual mehr beigaben-
führende Erwachsenengräber als in Zone 1. Wieder
andere Ursachen dürfte die auffallende Beigaben-
armut der in Zone 3 freigelegten Gräber haben, die
nur die Kinder- und Männer-, nicht aber die Frauen-
bestattungen betrifft (S. 46). Das folgende Kapitel
versucht darzulegen, daß es sich wahrscheinlich um
gruppenspezifische Totenbräuche handelt, welche
die Teilbevölkerung 3 schon in ihrer vermutlich
südosteuropäischen Heimat praktizierte.
DIE BEIGABENLOSIGKEIT
DER MÄNNERGRÄBER IN ZONE 3
Die nahezu vollständige Beigabenlosigkeit der in
Zone 3 beigesetzten Männer (vgl. S. 46) ist in den
spätrömischen Rhein- und Donauprovinzen genau-
so ungewöhnlich wie die im frühen Mittelalter im
ungarisch-italienisch-spanischen Wanderbereich der
Goten beobachtbare. Innere Zusammenhänge zwi-
schen beiden Phänomenen sind schon deshalb nicht
von der Hand zu weisen, weil die Fraueninventare
der Zone 3 Elemente enthalten, die sich im For-
menschatz der ostgermanisch-gotischen Gernjachov-
Sintatana de muref-Kultur wiederfinden (vgl. S.
47 ff.). Geht man im Folgenden von den ostgotischen
Verhältnissen in Italien aus 265, so sind die dort be-
kannt gewordenen Grabfunde des späten 5. und
der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts durch die
Waffen- und Beigabenlosigkeit der Männergräber
gekennzeichnet. Zumindest ihre Waffenlosigkeit ist,
wie V. Bierbrauer kürzlich betonte, auch für die
„Frühstufe der gotischen Hinterlassenschaft im Süd-
rußland und Rumänien" typisch 266. Die generelle

261) van Doorselaer 1967, 133 ff.

262) Ebd. 139 ff.

263) O—W: Gräber 17, 23, 30, 34 b, 93. W—O: Gräber 40, 116.

264) Gräber 4, 114 mit Knochenkamm (Taf. 2, 1) und Bronzearmring (Taf. 7, 8).

265) V. Bierbrauer, Die ostgotischen Grab- und Schatzfunde in Italien. Bibl. Studi Medievali 7 (1975) 68 f.

266) Vgl. dazu die Kartierung der wenigen Waffengräber der Ukraine und Rumäniens durch M. B. Scukin in

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