ausgehen, daß in der Spätphase der Gernjachov-
Sintana de mure§-Kultur die Reduzierung der Bei-
gabensitte auf Frauengräber voll in Gang kommt
und daß damit die Voraussetzungen für einen Ver-
gleich mit den in Zone 3 des Neuburger Friedhofs
erhobenen Befunden nicht nur in dieser Hinsicht,
sondern auch von der Graborientierung her ge-
schaffen sind. Es ist deshalb nicht auszuschließen,
daß sich hinter ihnen eine Zuwanderung ostgerma-
nisch-gotischer Bevölkerungselemente verbirgt. In
welchem historischen Rahmen sich eine solche voll-
zogen haben könnte, wird unten S. 60 ausführlich
erörtert.
HOCKERBESTATTUNGEN UND POST-
MORTALE SKELETTMANIPULATIONEN
Aus dem Rahmen des Üblichen fallen die in den
Gräbern 35 (Taf. 9, 35; 22, 7) und 89 (Taf. 11, 89;
22,9) angetroffenen beigabenlosen männlichen
Hocker, die mit Sicherheit zum spätrömischen Be-
stattungsplatz gehören. Sie lassen sich somit an jene
aus den südbayerischen Nekropolen von Göggin-
gen, Stephanskirchen und Valley anschließen 276 so-
wie mit einer Reihe weiterer vergleichen, die vor-
nehmlich aus den östlich der Raetia II gelegenen
Donauprovinzen bekannt wurden 277. Typisch für
die angeführten Belege ist die Tatsache, daß sie ge-
messen an der Gesamtgräberzahl der jeweiligen
Friedhöfe eine kleine Minderheit bilden und auf
diese Weise Ausnahmeerscheinungen im spätantiken
Totenbrauchtum darstellen. In seiner kürzlich er-
schienenen Arbeit „Keltischer Volksglaube" hat sich
L. Pauli im Rahmen des Versuchs, die religiös-geisti-
gen Hintergründe für vor- und frühgeschichtliche
Sonderbestattungen aufzuhellen, in Anlehnung an
R. Andree und andere dafür ausgesprochen, „daß
der Grundgedanke der Hockenbestattung die Furcht
vor dem Toten sei", den man durch die Hocker-
stellung an seiner Wiederkehr hindern wollte 278.
Der Aspekt der Entmachtung von gefährlichen To-
ten steht nach Pauli auch hinter der postmortalen
Verlagerung und Entfernung von Gliedmaßen oder
des Kopfes, wofür der Neuburger Friedhof eben-
falls Beispiele bietet 279. Derartigen Beobachtungen,
die weder durch antiken Grabraub noch durch
moderne Eingriffe befriedigend erklärt werden
können, sollte man in Zukunft unbedingt mehr
Aufmerksamkeit schenken als das bisher der Fall
war. Ausgehend von einem systematisch gesammel-
ten und statistisch auswertbaren Material, in dem
sich Regelergebnisse abzeichnen, können offenkun-
dige Skelettmanipulationen und von der Norm ab-
weichende Skelettlagen durchaus zum besseren Ver-
ständnis primitiver Glaubensformen in den nörd-
lichen Randzonen des spätrömischen Reiches füh-
ren. Voraussetzungen dafür ist allerdings die sorg-
fältige Wahrnehmung, Dokumentation und Ver-
öffentlichung der Grabungsbefunde.
DAS MILITÄRISCHE ELEMENT IM FUNDBESTAND
Für die Annahme, daß in der Neuburger Nekropole
die Besatzungen der auf dem Stadtberg bestehen-
den Garnison begraben liegen, sprechen nicht nur
topographische Gründe, sondern auch der klare,
auf anthropologischem Wege ermittelte Männer-
überschuß, der in allen Teilbevölkerungen erhalten
bleibt. In Zone 1 kommen auf 32 Männer 11
Frauen, in Zone 2 27 Männer auf 9 Frauen und
in Zone 3 entfallen auf zehn Männer drei Frauen,
so daß sich stets ein Verhältnis von etwa 3:1 er-
gibt 28°.
Anhand des archäologischen Materials wäre eine
ähnlich überzeugende Beweisführung nicht möglich
gewesen, denn in den Zonen 1 und 3 enthält der
Fundstoff nichts, was man Truppen zuschreiben
müßte, und in Zone 2 sind es lediglich bronzene
(Grab 5 über Grab 4) anführt. Außerdem erbringt er den Nachweis, daß Westost-Gräber in der Regel eine
ärmlichere Ausstattung aufweisen als Nordsüd-Gräber.
276) Keller 1971, 25.
277) Zu linksrheinischen Sonderbestattungen vgl. van Doorselaer 1967, 129 ff. Eine Zusammenstellung spät-
römischer Hockergräber in Pannonien gibt V. Länyi in Acta Arch. Hung. 24, 1972, 66 f.
278) Pauli wie Anm. 258 S. 174 ff.
279) Grab 13: rechter Arm fehlt. Grab 28: Kopf zwischen Knien, untere Hälfte des rechten Unterschenkels fehlt
(Taf. 10, 26). Grab 34: linker Oberschenkel fehlt vom Becken bis fast zum Knie. Grab 63: rechter Oberarm-
knochen verlagert. Grab 97: Teile der Unterschenkel sowie die Füße fehlen.
280) Vgl. dazu die Aufschlüsselungen auf den S. 21, 37, 46.
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Sintana de mure§-Kultur die Reduzierung der Bei-
gabensitte auf Frauengräber voll in Gang kommt
und daß damit die Voraussetzungen für einen Ver-
gleich mit den in Zone 3 des Neuburger Friedhofs
erhobenen Befunden nicht nur in dieser Hinsicht,
sondern auch von der Graborientierung her ge-
schaffen sind. Es ist deshalb nicht auszuschließen,
daß sich hinter ihnen eine Zuwanderung ostgerma-
nisch-gotischer Bevölkerungselemente verbirgt. In
welchem historischen Rahmen sich eine solche voll-
zogen haben könnte, wird unten S. 60 ausführlich
erörtert.
HOCKERBESTATTUNGEN UND POST-
MORTALE SKELETTMANIPULATIONEN
Aus dem Rahmen des Üblichen fallen die in den
Gräbern 35 (Taf. 9, 35; 22, 7) und 89 (Taf. 11, 89;
22,9) angetroffenen beigabenlosen männlichen
Hocker, die mit Sicherheit zum spätrömischen Be-
stattungsplatz gehören. Sie lassen sich somit an jene
aus den südbayerischen Nekropolen von Göggin-
gen, Stephanskirchen und Valley anschließen 276 so-
wie mit einer Reihe weiterer vergleichen, die vor-
nehmlich aus den östlich der Raetia II gelegenen
Donauprovinzen bekannt wurden 277. Typisch für
die angeführten Belege ist die Tatsache, daß sie ge-
messen an der Gesamtgräberzahl der jeweiligen
Friedhöfe eine kleine Minderheit bilden und auf
diese Weise Ausnahmeerscheinungen im spätantiken
Totenbrauchtum darstellen. In seiner kürzlich er-
schienenen Arbeit „Keltischer Volksglaube" hat sich
L. Pauli im Rahmen des Versuchs, die religiös-geisti-
gen Hintergründe für vor- und frühgeschichtliche
Sonderbestattungen aufzuhellen, in Anlehnung an
R. Andree und andere dafür ausgesprochen, „daß
der Grundgedanke der Hockenbestattung die Furcht
vor dem Toten sei", den man durch die Hocker-
stellung an seiner Wiederkehr hindern wollte 278.
Der Aspekt der Entmachtung von gefährlichen To-
ten steht nach Pauli auch hinter der postmortalen
Verlagerung und Entfernung von Gliedmaßen oder
des Kopfes, wofür der Neuburger Friedhof eben-
falls Beispiele bietet 279. Derartigen Beobachtungen,
die weder durch antiken Grabraub noch durch
moderne Eingriffe befriedigend erklärt werden
können, sollte man in Zukunft unbedingt mehr
Aufmerksamkeit schenken als das bisher der Fall
war. Ausgehend von einem systematisch gesammel-
ten und statistisch auswertbaren Material, in dem
sich Regelergebnisse abzeichnen, können offenkun-
dige Skelettmanipulationen und von der Norm ab-
weichende Skelettlagen durchaus zum besseren Ver-
ständnis primitiver Glaubensformen in den nörd-
lichen Randzonen des spätrömischen Reiches füh-
ren. Voraussetzungen dafür ist allerdings die sorg-
fältige Wahrnehmung, Dokumentation und Ver-
öffentlichung der Grabungsbefunde.
DAS MILITÄRISCHE ELEMENT IM FUNDBESTAND
Für die Annahme, daß in der Neuburger Nekropole
die Besatzungen der auf dem Stadtberg bestehen-
den Garnison begraben liegen, sprechen nicht nur
topographische Gründe, sondern auch der klare,
auf anthropologischem Wege ermittelte Männer-
überschuß, der in allen Teilbevölkerungen erhalten
bleibt. In Zone 1 kommen auf 32 Männer 11
Frauen, in Zone 2 27 Männer auf 9 Frauen und
in Zone 3 entfallen auf zehn Männer drei Frauen,
so daß sich stets ein Verhältnis von etwa 3:1 er-
gibt 28°.
Anhand des archäologischen Materials wäre eine
ähnlich überzeugende Beweisführung nicht möglich
gewesen, denn in den Zonen 1 und 3 enthält der
Fundstoff nichts, was man Truppen zuschreiben
müßte, und in Zone 2 sind es lediglich bronzene
(Grab 5 über Grab 4) anführt. Außerdem erbringt er den Nachweis, daß Westost-Gräber in der Regel eine
ärmlichere Ausstattung aufweisen als Nordsüd-Gräber.
276) Keller 1971, 25.
277) Zu linksrheinischen Sonderbestattungen vgl. van Doorselaer 1967, 129 ff. Eine Zusammenstellung spät-
römischer Hockergräber in Pannonien gibt V. Länyi in Acta Arch. Hung. 24, 1972, 66 f.
278) Pauli wie Anm. 258 S. 174 ff.
279) Grab 13: rechter Arm fehlt. Grab 28: Kopf zwischen Knien, untere Hälfte des rechten Unterschenkels fehlt
(Taf. 10, 26). Grab 34: linker Oberschenkel fehlt vom Becken bis fast zum Knie. Grab 63: rechter Oberarm-
knochen verlagert. Grab 97: Teile der Unterschenkel sowie die Füße fehlen.
280) Vgl. dazu die Aufschlüsselungen auf den S. 21, 37, 46.
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