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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 22.1906-1907

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Rosenhagen, Hans: Ein Schlusswort zur deutschen Jahrhundertausstellung
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https://doi.org/10.11588/diglit.12155#0071

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EIN SCHLUSSWORT ZUR DEUTSCHEN JAHRHUNDERT-AUSSTELLUNG

Malerei hatte man kluger-
weise auf deren wichtigste
Vertreter beschränkt und
eigentlich nur die Linie
Koch-Schirmer-Böcklin be-
tont. Wenn beim „Volke
der Denker" auch immer
viel von den „ewigen, un-
veränderlichen Idealen der
Kunst" die Rede ist, so er-
gibt die Praxis doch, daß
die Künstler, die solchen
Idealen nachgingen, vom
Volke am wenigsten aner-
kannt worden sind. Es ist
bezeichnend, daß die großen
deutschen idealistischen Ma-
ler die Anregung zu ihrem
Schaffen ausschließlich in
Italien empfangen haben.
Vielleicht liegt darin die Er-
klärung für das Unverständ-
nis, dem sie begegnet sind.
Nicht allein ihr Stoffgebiet
wurde als fremd empfun-
den, sondern auch ihre An-
schauungsweise. Dem Deut-
schen im allgemeinen fehlt
der Sinn für den Stil. Da-
her empfand er die stolze
Liniensprache Feuerbachs
W ilhelm scheuchzer (1803-1866) heiligenblut und als kalt; darum sah er in

grossglockner « den Bemühungen von Ma-

Retrospektive Ausstellung München 1906 r6eSi Raumvorstellungen

farbig stilisiert zu geben,

haupt erst begründet hat. Leibi und seine die Versuche eines Malers, der sein Hand-
Schule, Defregger und andere bedeuten die werk nicht genügend beherrschte. Böcklin
Vollendung der Wiener Tradition, während wurde am Ende begriffen, weil in seinen Wer-
Lenbach, Makart, Max usw. bei allem per- ken am wenigsten Stil ist und weil die poe-
sönlichen Talent die Münchner Malerei in tische Kraft seiner Erzählung es dem Publi-
eine oberflächlich dekorative Richtung führten, kum erleichterte, in ein Verhältnis zu ihm
die zwar starke Kulturelemente enthält, aber zu gelangen.

die Gefahr einer innerlichen Verflachung in Es bleibt fraglich, ob der Sinn für Stil im
sich birgt. Mit Recht war der Leibi-Gruppe deutschen Volke überhaupt zu wecken ist;
in der Ausstellung der breiteste Raum bereit- immerhin nötigt der in Deutschland immer leb-
gehalten, nicht allein, weil sie durch jähr- hafter werdende internationale Kunstbetrieb zu
zehntelange Zurücksetzung trotz der einzigen einer Beschäftigung mit den Forderungen des
Qualität ihrer Leistungen diese öffentliche An- Stils. Aus diesem Bestreben heraus ist sehr
erkennung verdient hat, sondern auch, weil mit Unrecht über Böcklin als Künstler der Stab
sie, dank der Nichtbeachtung, mit der man gebrochen worden. Das Unrecht lag darin,
ihr während ihrer Blütezeit begegnete, am Aus- daß man etwas Einziges mit einem anderen
sterben ist. Für die andere Partei der Piloty- Einzigen vergleichen wollte. Böcklins Stil-
Schule dagegen hat man in München ein Vier- losigkeit ist ebenso Anlage wie seine gestal-
teljahrhundert hindurch so ausgiebig gesorgt, tungskräftige Phantasie. In Hans Thomas
daß deren Leistungen allgemein bekannt sind Bildern findet sich ohne Frage ein Stil; aber
und darum hier nicht noch einmal vorgeführt wird man ihn darum als Künstler über Böcklin
werden brauchten. setzen dürfen? — Vielleicht kann man von
Die Darstellung der idealistischen deutschen Feuerbach wie von Böcklin behaupten, daß

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