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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 22.1906-1907

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Gensel, Walther: Die klassische Bildniskunst in England
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https://doi.org/10.11588/diglit.12155#0178

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lieh Porträtmaler sei, und entschuldigt die „ge-
treue, wenn auch nicht poetische Darstellung"
der Natur bei den andern. In der Tat haben
als die beiden erhabensten Seiten des künst-
lerischen Könnens immer die Bewältigung
der Massen und die Darstellung des Nackten
gegolten. Beide beherrschte der größte aller
Bildnismaler, Velazquez. Gainsborough da-
gegen versagte meist schon, wenn er mehrere
Personen zu einer Gruppe zusammenfassen
sollte, und bei seiner Musidora (s. Abb. S. 176),
wohl dem einzigen größeren „Akte", den er
gemalt, vermag uns aller Liebreiz nicht über
die anatomischen Ungeheuerlichkeiten hinweg-
zutäuschen. Reynolds war ein besserer Zeich-
ner; aber seine mythologischen Kompositionen
sind so gekünstelt, so wenig aus dem eigensten
Geiste ihres Schöpfers entsprungen, daß sie
mit Recht fast ausnahmslos der Vergessen-
heit anheimgefallen sind. Insofern ist die
Kunst dieser Meister in der Tat unvollkommen.
Ihre Stärke lag auf anderen Gebieten, in der
Lebendigmachung einzelner Figuren, in der
Farbe und im Licht. Aber selbst im Bildnis

haben sie das Allerhöchste nur selten erreicht.
Vornehmheit, Eleganz, Feinheit, Anmut, Lie-
benswürdigkeit, das sind die Prädikate, die
einem vor ihren Werken auf die Lippen
kommen, Eigenschaften, die man bei den ganz
Großen gar nicht oder doch erst in zweiter
Linie nennt. Man mache die Probe und durch-
blättere die Prachtwerke, die Sir Walter Arm-
strong den Malern Reynolds, Gainsborough,
Raeburn gewidmet hat und wohl noch andern
widmen wird: starke Emotionen stellen sich
fast nie ein; was uns in den Bann zieht,
ist das, was man am besten mit dem Fremd-
wort „Charme" bezeichnet, Bezauberung. Oder
besser noch: das Gefühl, das wir vor diesen
Werken haben, setzt sich aus zwei Empfin-
dungen zusammen: der künstlerischen Freude
an der vorzüglichen Ausführung und dem
Behagen, uns in so guter Gesellschaft zu
befinden. Das ist ja wohl viel, aber es ist
nicht alles, was uns die Kunst zu geben
vermag.

Reynolds und Gainsborough! Die beiden
Namen sind schon mehrmals genannt worden.

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