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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 22.1906-1907

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Meier-Graefe, Julius: Max Liebermann
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MAX LIEBERMANN

• Rasse treibt, ist die Oeko-
nomik des Künstlers, von
der Delacroix ein unsterb-
liches Beispiel zurückließ.
Der deutsche Jude ist schär-
fer gespannt als der französi-
sche Romantiker. Seine Vor-
fahren waren große Rechner
und erwarben ihm die ma-
terielle Unabhängigkeit, das
elastische Sprungbrett mo-
dernen, notwendig isolierten
Künstlertums. Der Nach-
komme der Industriellen und
Kaufleute ist anormal un-
rechnerisch veranlagt und
war auf der Schule von
schreiendem Unvermögen
für alle exakten Wissen-
schaften. Die Rasse hat sich
max liebermann Studie in ihm auf jene höhere Ma-

thematik gerichtet, die wir

großen Romantiker liegt der Grund offen. Kunst nennen. Seine Bilder sind Rechen-
Seine kühle Höflichkeit schloß von vornherein exempel, wo der Einfall des Dämons in starke
jede Enttäuschung aus. Liebermann soig- Formen gepreßt wird; Dokumente des Genies,
niert seinen Rahmenmacher wie Delacroix die für ihn und seine Zeit, für uns alle zeugen
einen Minister, und der geringste Jüngling und das Leben der sterblichen Persönlichkeit
der Feder glaubt in das Innere des Meisters mit allen Einzelheiten als das Resultat einer
zu blicken. Darum enttäuscht er manches
treue Gemüt, das von ihm mehr als des
heiteren Wortes Labung fordert. Auch seine
nicht immer konsequente Kunstpolitik, der
Mangel an Entschiedenheit in Momenten, wo
er der größten Anhängerschaft sicher und
fähig wäre, sein Prestige durch energisches
Auftreten zu vergrößern, verstimmt die Braven.
Er gilt für einen argen Egoisten, und ich bin
nicht weit von der Vermutung entfernt, daß
er es noch in viel weiterem Umfange ist,
als man vermutet. Nur glaube ich an die
unantastbare Notwendigkeit dieses Egoismus.
Denn von den vielen Wegen zum Ruhm, die
der Künstler gehen kann, gibt es nur einen,
der ganz gerade zum Gipfel führt, und dieser
ist zu schmal und zu steil, um das Gepäck,
das sonst der Mensch durchs Leben schleppt,
zuzulassen.

Delacroix ging ihn und sein heißes Herz
mag zuweilen den selbstgewählten Mangel
an festen Ruhepunkten bei den vielen Be-
kanntschaften des Weges bitter empfunden
haben. Dem scharf modellierten Gesichte des
Berliner Malers ist dergleichen nicht aufge-
schrieben, die ganze Gestalt scheint gemacht,
sich geschmeidig und flink durch die Menschen
zu schieben. Der Impuls aber ist in beiden
Künstlern derselbe. Was Liebermann zur Kon- «ax liebermann studie zum last

zentration aller Eigenschaften seiner starken träger <i895) « « «

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