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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 26.1910-1911

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Wolf, Georg Jacob: Die Winterausstellung der Münchner Secession: Karl Haider und Heinrich Zügel
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https://doi.org/10.11588/diglit.13089#0266

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DIE WINTERAUSSTELLUNG DER MÜNCHNER SECESSION

KARL HAIDER SELBSTBILDNIS (1906)

Winter-Aasstellung der Münchner Secession

Münchnerisch — das bedeutet republikanisch,
bedeutet: Befreitsein von Prinzipientyrannei.
Hier gilt der Spruch des weisen Nathan:
Es eifre jeder seiner unbestochnen,
Von Vorurteilen freien Liebe nach!

In der Kunst ist der rechte Weg zum Ziel
allemal ein subjektiver. Denn da bei ihr nicht
die strengen ethischen Gesetze gelten, sondern
die vieldeutigen ästhetischen, gibt es kein un-
fehlbares Rezept zur Vollkommenheit und
keinen richtigen Weg für alle. Sondern jeder
muß den seinigen gehen, so gut und ehrlich
er es vermag.

Und darum keine Vergleiche zwischen den
beiden Künstlern und den beiden Kollektionen !
Jeder dieser beiden Maler kann beanspruchen,
als prächtig entwickeltes Individuum für sich
allein betrachtet zu werden, und das Werk
jedes einzelnen bedarf nicht der Seitenblicke
und Relationen.

* *

Eugene Delacroix hat einmal in sein Tage-
buch geschrieben: „Das Erste und Wichtigste
in der Malerei sind die Konturen." Er sagte
das im Sinne eines, der in dieser Richtung
noch viel an sich zu arbeiten hatte . . . Für
Haider ist des Delacroix Wort Erfüllung seiner
künstlerischen Aufgabe geworden. Ihm ist

die Zeichnung, die Kontur, die Hauptsache.
Und die zahlreichen Zeichnungen, die man
von ihm sieht, geben eigentlich auch das Beste
und das Wesentliche seiner Kunst. Kämen
sie allein auf die Nachwelt, so würden sie
genügen, Haiders künstlerische Persönlich-
keit zu rekonstruieren. Es sind zwanzig
Zeichnungen in Bleistift und Kohle auf der
Ausstellung: Landschaften, große Figurenbil-
der, Porträte. Wer Haiders figürliche Arbeiten
schätzen lernen will — die neben den Land-
schaften des Künstlers zu Unrecht geringer
eingewertet werden —, dem bieten diese Zeich-
nungen Weg und Gelegenheit. In ihnen doku-
mentiert sich Haiders Absicht und seine Art,
den Erscheinungen zu Leib zu rücken, am
deutlichsten und unmittelbarsten. Ein Blatt
wie „Der Jäger" (1879) läßt uns den ganzen
Haider erkennen, den Künstler, der bei der
bildlichen Gestaltung von der Silhouette aus-
geht, der sich mit feiner Liebe dem Studium
des Details hingibt, aber gestaltend die Einzel-
züge nie über den Gesamteindruck hinaus-
wachsen läßt, der Kraft und Stimmung mit
technischer Qualität zu vereinigen weiß. Die
Ehrlichkeit der „Mache" dieses Blattes erin-
nert an Leibi, der Haiders Freund gewesen ist,
und von dem man weiß, daß er gerade diese
Zeichnung sehr hoch geschätzt hat. Aber es
sind da noch andere Blätter, die ich nicht für
geringer halte; besonders die Pinselzeichnung,
die uns des Künstlers jüngsten Sohn im Ge-
wand des Geißbuben (1905) zeigt, das nach-
denkliche Konterfei eines alten Dorfmusikan-
ten (1878), das etwas vergrämte Gesicht der
Mutter des Künstlers (1882) und die „Betende
Nonne" (1884). Natürlich auch die Kolossal-
zeichnung „Der neue Stutzen" (1879), die den
peinlich durchgearbeiteten Entwurf zu Haiders
gleichnamigem malerischen Hauptwerk dar-
stellt. Wer Zeichnung und Gemälde dieses
Motivs gegenüberstellt, für den ergibt sich ein
lehrreiches Beispiel von Haiders Arbeitsme-
thode. Mit der gezeichneten Kontur ist es für
ihn fast schon getan. Komposition und Cha-
rakteristik wird durch die Malerei nicht mehr
beeinflußt, und die Farbe bringt kein wesent-
lich neues Moment in das Bild. Die Model-
lierung und Plastik ist auch in der Zeichnung
schon da; die Farbe füllt also nur gewisser-
maßen die Kontur. Doch fasse man das nicht
falsch auf: dem Begriff „gefüllte Kontur" hängt
etwas Peinliches an, und man gebraucht den
Ausdruck nicht immer im besten Sinne. An-
ders hier. Daß Haiders gefüllte Konturen von
höchstem malerischen Reiz sein können, dafür

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