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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 26.1910-1911

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Ein Protest deutscher Künstler
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https://doi.org/10.11588/diglit.13089#0464

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„EIN PROTEST DEUTSCHER KÜNSTLER"

die Kollektion Pellerin mit ihren berühmten
Manets durch die kontinentalen Kunstzentren
ging, da waren für einige Hauptwerke (z. B.
für das „Frühstück im Atelier", für die „Bar
aux Folies Bergeres") Preise von schwindel-
hafter Höhe angesetzt: man nannte mir je
eine Viertelmillion Franken. Das entspricht
dem Wert der Bilder nicht, aber die Händler
nützen eben die „Konstellation" aus, und dar-
an wird alles Schelten und Klagen der deut-
schen Künstler nichts ändern. Man verlangt
nun eben einmal von Sammlern „Liebhaber-
preise" — in der Kunst so gut wie bei den
Briefmarken, wo man für die berühmte „blaue
Mauritius" ungeniert ein Millionfaches des
schönsten „Satzes" bosnischer Jubiläums-Post-
wertzeichen bezahlt. Wo ist das Mittel, mit
dem hier abgeholfen werden könnte? Man
kann mit Vinnen darin einig gehen, daß die
Franzosen überzahlt werden, und bedauerlich
ist dabei besonders noch der Umstand, daß
den Autoren der Werke selbst von diesem
unerwarteten späten Goldregen nichts mehr
zugute kommt; aber alles Klagen darüber ist
umsonst. Die Sammler sind nun einmal „eine
sonderbare Nation" — für die meisten sind
die Werke ja erst dann interessant und be-
gehrenswert, wenn unmenschlich hohe Summen
dafür gefordert werden. Und unsere Kunst-
händler, Börsenroutiniers, die sich auf Psycho-
logie verstehen, wären ja höchst töricht, wenn
sie sich sotane snobistische Gelüste nicht zu-
nutze machten!

Kommt der andere Kernpunkt, den Vinnen
ins Treffen führt: Geleitet von dieser mate-
riellen Ueberschätzung der französischen Kunst,
gerät unsere künstlerische Jugend auf Irrwege,
sieht nur mehr in Paris die hohe Schule der
Kunst und — es ist so wahr als komisch —
in der Nachahmung von Van Gogh und Cezanne
und Matisse sucht sie ihre Eigenart. Vinnen hat
ganz recht: „Die Kunst eines Cezannes, eines
Van Gogh war zu persönlich auf ihren Ur-
heber zugeschnitten, zu wenig konstruktiv an-
gelegt als Richtung, um Schule machen und
Nachfolger ermöglichen zu können. Die Fehler
wird man nachahmen und steigern können, —
das zeigt uns ja jeder Tag, — die Vorzüge
nie." Aber ist nicht die Nachahmung eines
so extremen Künstlers wie Marees, die von
Thoma ausgehende Deutschtümelei und manche
Erscheinung dieser Art ebenso gefährlich?
Und mit welchen Mitteln kann man die „Fran-
zöselei" wirkungsvoll abwehren? Etwa durch
unseren verstaubten akademischen Betrieb?
Sicherlich nicht! Gerade er treibt ja die jun-

gen Leute den „genialischen" Franzosen in die
Arme. Da hilft wohl nur eins: abwarten!
Das ist eine Krisis, die überwunden wird.
Man wird von der „Französelei" abkommen,
wie man durch bessere Erkenntnis vom Kar-
tonstil des Cornelius und von dem histo-
rischen Karneval des Piloty oder — um auf
jüngstvergangene Erscheinungen hinzuweisen —
von der Böcklin-Malerei (ich denke dabei an
Böcklins handfertige Nachahmer) zurückfand
zu Leben und Wirklichkeit. Daß uns übrigens
bei diesem Rückfinden die Franzosen gute
Führerdienste leisteten, das zeigt das Beispiel
Leibis und Uhdes, und darum wollen wir
die „Franzosengängerei" nicht in Grund und
Boden verdammen. Der vorsichtige Wör-
mann fand dafür einmal das rechte Wort:
„So gut Dürer nach Venedig ging, um seinen
Farben Leuchtkraft zu verleihen, und nach
Bologna pilgerte, um sich in die Geheimnisse
der Perspektive einweihen zu lassen, so gut
konnten unsere Jungen und Jüngsten nach
Paris ziehen, um dort die Grundsätze jener
neuartigen Lichtmalerei kennen zu lernen, die
unzweifelhaft auch eine künstlerische Welt-
offenbarung war. Wie es früher nur darauf
ankam, daß die deutschen Künstler das im
Auslande Gelernte in gute deutsche Kunst um-
setzten, so ist das heute noch die Hauptsache,
die wir von ihnen verlangen . . ." Vinnen er-
kennt das selbst, wenn er sagt: „Wir wollen
keine chinesische Mauer, keinen Schutzzoll
für unsere Kunst, keine chauvinistische Deutsch-
tümelei, kein Absperren gegen Wertvolles, bloß
weil es von jenseits der Grenze kommt". Er
macht also Prämissen, die weitgehenden Zu-
geständnissen gleichkommen. Das behindert
ihn dann natürlich in der doch beabsichtig-
ten freien Waffenübung, und so kommt — das
ist der resultierende Eindruck — eine Zwie-
spältigkeit in diesen Kampfruf, die seine Durch-
schlagkraft schwächt. Diese Zwiespältigkeit wird
vermehrt durch den Abdruck zahlreicher Zu-
stimmungsschreiben von Künstlern, die wie-
derum manches Widerspruchsvolle enthalten,
und das Thema selbst verliert durch solches
Ableuchten mit den verschiedensten Laternen an
Konzentration, die Wirkung verpufft, der An-
griffsflächen für die Gegner bieten sich mehr
und mehr. Und so kommen wir denn zu dem
Schluß, daß der ganze Protest, so ehrlich er ge-
meint sein mag, und so viel Nützliches und
Wahres er im einzelnen enthält — namentlich
in der Behandlung der beiden von uns heraus-
gehobenen Hauptfragen —, als Ganzes, wenig-
stens in der vorliegenden Form, mißlungen ist.

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