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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 34.1918-1919

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Pauli, Gustav: Die Kunst der Gegenwart und das Publikum
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Konsbrück, Hermann: Kunst und Mathematik
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https://doi.org/10.11588/diglit.13748#0045

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fühlt, den Wert eines gewohnten und gewähn-
ten geistigen Besitzes in Frage zu stellen.
Darin dürfen wir wohl den Quell des beklag-
ten Zwiespaltes im Publikum erblicken: Wie
der Durchschnittsmensch nur glaubt, was er
ohnehin schon weiß, so will er auch im Kunst-
werk nur Werte entdecken, die bereits als ge-
prägte Münze umlaufen. Er verlangt das Neue
und meint das Alte in etwas veränderter Ver-
brämung; und was er Schönheit nennt, ist die
Gefälligkeit von gestern. So gelangt das Publi-
kum immer wieder dahin, die Spezialisten zu
begünstigen. An ihnen weidet sich die Kenner-
schaft ; sie heißen die Bewährten, die Geschick-
ten — und sind die Stehengebliebenen und in-
nerlich Verarmten.
Die Tragik des Zwiespaltes zwischen Publi-
kum und Künstler verschärft sich darin, daß
er gerade die besten unter dem jungen Nach-
wuchs trifft, die Bringer des Neuen. Dieses Neue
ist nun aber nichts anderes, als der sichtbar
werdende Seelenzustand des Volkes in seiner
Wandlung, das Spiegelbild, ja das Antlitz des-
sen, was man gemeinhin Zeitgeist nennt. Doch
seine Verkünder sind den Freunden des Ge-
wohnten Störenfriede. Sie werden bekämpft
und werden darum ungewollt selber zu Kämp-
fern. Ungewollt! Denn sie hatten sich das
Publikum als eine Schar von Freunden erhofft,
die ihrem Rufe mit dem Echo verstehenden Bei-
falls lohnten, empfänglich und dankbar. —
Nun ist es freilich nicht wenig, daß die schaf-
fenden Träumer damit dem Publikum ansinnen
— eine Art von Selbstentäußerung, nicht eben die
Preisgabe bisher erworbener Güter, aber doch
die Bereitwilligkeit, sich dem unvermeidlichen
Wandel der Anschauungen anzupassen und alte
Erfahrungen um neue zu bereichern. Es ist das
Erwarten der Ehrerbietung, die der Höher-
stehende für sich glaubt beanspruchen zu dür-
fen. Es ist schließlich die Mahnung an den
Beschauer, frei von vorgefaßter Meinung auf
die eigene innere Stimme zu horchen, um zu er-
fahren, was sie der neuen Botschaft erwidere.
Das ist allerdings viel verlangt vom Publikum,
und doch nichts Ungebührliches. Ja, es setzt
voraus, daß das Publikum dem Künstler ver-
wandt sei; denn nur der Edle ist zur Ehrerbie-
tung bereit und nur der künstlerisch Veran-
lagte kann dem Künstler gerecht werden. Ist
er nicht selbst zum Schaffen befähigt, so bestä-
tigt sich seir£ Begabung wenigstens darin, daß
er dem Schöpfungsprozeß zu folgen vermag.
Dann erwächst aus der scheinbaren Selbstent-
äußerung als ein Echo der Freude des Gestal-
tens eine Steigerung des eigenen Lebensgefühls,
denn ein Kunstwerk verstehen heißt es nach-
schaffen. Gustav Pauli

KUNST UND MATHEMATIK
nser alter Schulmonarch hatte eine einzig
dastehende Methode, Mathematik zu leh-
ren. Er begann die Stunde mit den Worten:
„Wir beweisen heute, daß der Inhalt einer Kugel
== 4'3r37t ist; der Mittelpunkt des Kreises sei O,
der Radius sei r.“
Die zu r gehörende Kugel deutete er durch
halbkreisförmige Bewegungen beider Hände an
und an diesem nicht sichtbaren Phantom einer
Kugel bewies er, daß der Inhalt gleich 4 3r3.-
ist. Diese Lehrmethode hatte zweifachen Wert:
sie zwang zur denkbar größten Aufmerksam-
keit, denn ein Schüler, der einer Handgeste oder
einem Wort nicht folgte, war sofort aus dem
Zusammenhang. Der Bau einer stereometrischen
Beweisführung — lediglich im Geiste — war
nicht weiter zu führen, fehlte auch nur eine
einzige Zahl. Aber neben diesem vom Schulpro-
gramm geforderten Ziel lag ein anderes, das für
das spätere Dasein manchem von großem Nut-
zen war: Der Sinn für Raumgrößen, der Sinn
für den Raum selbst wurde großgezogen und
gefestigt.
Es scheint in unserer Zeit, in der Futuristen
Gefühle zu malen verstehen, recht altfränkisch
zu sein, weist man auf Künstler früherer bes-
serer Zeiten hin, die ihre Anschauungen von
Kunst und Kunsthandwerk niederschrieben. Lio-
nardo vergleicht in seinem berühmten Buche
von der Malerei diese mit der Poesie, der Musik
und der Skulptur. Er spricht vom Ausdruck, von
der Farbe und der Landschaft. Dem Helldun-
kel, der Komposition und der Bewegung sind
Sonderkapitel gewidmet, und wenn er auch ein-
gehend von der Zeichnung, der Perspektive,
den Proportionen und der Anatomie spricht,
so liegt der Schwerpunkt des Werkes nicht
allein auf diesem Abc der darstellenden Kunst.
Es ist reizvoll, das berühmte Buch mit Al-
brecht Dürers „Unterweisung in der Messung“
zu vergleichen, die auf Veranlassung von Hans
Thoma im Verlag der „Süddeutschen Monats-
hefte“ durch Alfred Paltzer neu herausgegeben
wurde. Dürer hatte in Italien zweifelsohne von
den Bestrebungen und Ergebnissen der italieni-
schen Theoretiker gehört; die damals neu ent-
deckten Gesetze, nach welchen genaue Perspek-
tiven möglich sind, erregten mit Recht Bewun-
derung. Bezeichnend für Dürers Kunstauffas-
sung ist die Tatsache, daß er als älterer Mann
sich mit diesen Darstellungsproblemen einge-
hend befaßte und mit seinem Buch über die
Messung einen Leitfaden der darstellenden Geo-
metrie schrieb — ausdrücklich mit dem Wunsche,
daß dieser den Künstlern von Nutzen sein
möge. Er bringt Sätze, wie:


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