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Die Kunst für alle: Malerei, Plastik, Graphik, Architektur — 34.1918-1919

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Friedländer, Max J.: Bedenken gegen moderne Kunstlehren
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https://doi.org/10.11588/diglit.13748#0341

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ANTON BRAITH

BEI ARESING

BEDENKEN GEGEN MODERNE KUNSTLEHREN

Wie immer das Kunsttreiben unserer Tage
empfunden werden mag, zu seinem Ruhme
läßt sich eines sagen: Alltäglichkeit und Klein-
lichkeit sind daraus von irgendeinem Sturm
hinweggefegt. Dieses Lob ist freilich negativ.
Nicht einladend, sondern sich steil in dunkler
Fremdartigkeit abschließend, ist das jüngste
Malwerk mehr Klang als Bericht, mehr Gleich-
nis als Abbild. Zuweilen fühlen wir mit pein-
lichem Bedauern, daß eine stumme Poesie mit
halbem Erfolg um Sichtbarkeit kämpft.
In den stammelnden Versuchen, eine Ästhetik
aus der neuen Produktion abzuleiten, kehren
immer wieder die Begriffe: Ausdruck, Vision
und Augenerlebnis. Von dem Erlebnis wird
in dem Sinne gesprochen, daß der erlebende
Künstler das Wesentliche bringt, das Leben
aber ihm nichts darbietet als Anlaß und Ge-
legenheit zu seiner ekstatischen Äußerung.
Vision ist das, was der Künstler erblickt, die
Anderen aber nicht sehen, oder — was der
Künstler weniger beobachtend empfangen als
schauend erschaffen hat. Ausgedrückt wird das
innere Leben der schöpferischen Persönlichkeit.

Individuelle Mannigfaltigkeit wird freilich
nicht in dem Grad offenbar, wie danach zu
erwarten wäre. Ehemals waren die Starken
großartig, die Schwachen kleinlich; plötzlich
sind alle groß, ernst und dionysisch, von einer
melancholischen Trunkenheit.
Ersichtlich ist das Verhältnis zur Natur
lockerer geworden. Damit sind Fesseln ge-
fallen. Das Verheißungsvolle der gegenwärti-
gen Schaffensart liegt in der ungehemmten
und gläubigen Hingabe an die Vision. Der
allgemein gültige Satz: das Kunstwerk ist so
viel wert wie der Künstler, der es geschaffen
hat — erhebt sich bedrohlich zu lastendem
Anspruch und hoher Forderung. Wenn der
ältere Künstler emsig, sorglich und wachsam
ans Werk ging, so schwebt dem jüngeren das
vehemente Herausschleudern aus dunkler Tiefe
als das natürliche Verfahren vor. Die Älteren
fanden den Maßstab der Selbstkritik bei stren-
ger Vergleichung des Geschaffenen mit der
Natur; die Jüngeren haben diese Kontrolle
und Zucht eingebüßt. Vor dem Chaos kann
nur eine neue Gebundenheit retten: die un-

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