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Zeitschrift des Kunst-Gewerbe-Vereins zu München — 25.1876

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Lichtenstein, ...: Die Deutsche Kunst- und Kunstindustrie-Ausstellung in München, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7031#0029
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Zeitschrift

des

Kunst-Geiverbe-Vereins.

Sechsundzwanzigster Jahrgang.

München.

9 H.

1876.

Die Zeitschrift erscheint monatlich mit wenigstens zwei Seiten Text und zwei Knnstbeilagen. Die Vereinsmitglieder erhalten die Zeitschrift unentgeltlich.
Im Buchhandel kostet dieselbe M. 7. der Jahrgang. Inserate geeigneten Inhaltes werden mit 20 Pf. für den Raum einer gespaltenen Petitzeile berechnet.
St and ige Inserate erhalten eine entsprechende Preisermäßigung. In- und Auswärtige wollen sich dieserhalb an die Buchhandlung von Theodor Ackermann

dahier wenden.

Die denlsche Kunst- und Kunstindustrie-AussteUung

in München.

I.

Von Or. L i ch t e n st e i n.'

Tie Ausstellung im Münchener Glaspalaste gab ein Bild
deutschen Kunstfleißes der Vergangenheit und Gegenwart, wie
es noch nicht geboten wurde. Das ist ein sehr bezeichnendes
Wort, das Wort „Knnslfleiß". Es ist, als wolle es durch
seine Zusammensetzung den engen Zusammenhang der künstleri-
schen Formenerfindung und Formengebung mit der durch eisernen
Fleiß zu erringenden handwerksmäßigen Technik scharf hervor-
heben. Ohne diesen engen Zusammenhang ist ein wahrhaft aus-
gebildetes Kunsthandwerk nicht denkbar. Es muß eben die volle
Freiheit der technischen Bewältigung des Materials mit der
Freiheit, mit der Ungezwungenheit der Bewegung, welche ein
Merkmal der schönen Form ist, Hand in Hand gehen. Wenn
das der Fall ist, dann entstehen solche Meisterwerke ersten Ranges,
wie sie in großer Menge im Schatzkasten und in anderen Räumen
uns zur Bewunderung hinrissen.

Versetzen wir uns einmal geistweis in die Werkstätten, in
welchen jene Arbeiten entstanden, und beobachten wir die Meister
bei ihrer Arbeit! Da drängt sich uns wohl die Wahrnehmung
aus, daß die L-chöpfer der herrlichen Werke ein wahres Ver-
gnügen ait dem Material, welches sie verarbeiteten, haben
mußten. Diese Freude am Material ist auch sehr begreiflich;
was ist sie denn anders, als Freude an der Natur? Alle
Stoffe, welche durch den Kunsthandwerker verarbeitet werden,
sind ja Naturerzeugnisse, seien es Metalle, Steine, Holzarten,
seien es Baumwoll- oder Flachsfasern oder die Gespinnste der
Seidenraupe u. s. w. Auf den richtigen Kunsthandwerker üben
schon die Rohstoffe und die denselben von der Ratnr verliehenen
Eigenschaften eine große Anziehungskraft. Diese Eigenschaften
reizen auch den Meister zu lebensfrischer Formengebung. Ich
habe in einem meiner Aufsätze in der Zeitschrift für bildende
Kunst die Thätigkeit des Metalltreibers als ein Beispiel ange-
führt, welches uns am allerdeutlichsten zeigt, wie das von der
Natur gebotene Material unter den Händen des Meisters künst-
lerisches Leben gewinnt und schöne Formen annimmt; der tüch-
tige Metalltreiber bringt Leben in sein Material, was eine
Hauptsache ist; er bringt das Leben der markigen, schöpferischen
Hand hinein; auch in das einfachste Beschläg kam vordem dieses
Leben, so daß ein solches Beschläg als ein an die Thüre, an den
Schrank sich elastisch anschmiegendes Befestigungsmittel erscheint.
Bei der Betrachtung der getriebenen Arbeiten glaubt man mit
den Blicken verfolgen zu können, wie das hämmerbare und
streckbare Metall unter den Händen des Meisters sich ausdehnt,
einen größeren Raum einnimmt, sich umbiegt, sich wölbt, so daß
zusehends diese Bewegungsformen des Metalles zu den sich um-
biegenden, sich rundenden, sich wölbenden Formen der darzu-

stellenden Menschen, Thiere, Pflanzen werden. Dieses intime
Zusammengehen der technischen Fertigkeit und der künstlerischen
Formengebung will ich noch durch ein anderes Beispiel ver-
deutlichen, welches ich einem von Lobmeper, Jlg und Böheim
herausgegebenen Werke über Glasindustrie entnehme, einem
Werke, dessen Trefflichkeit in dieser Zeitschrift schon hervorge-
hoben wurde. Albert Jlg erwähnt in dem Buche als einen
Beleg für die Kunstfertigkeit der Alten im Blasen des Glases
die Mittheiluug Seuecas, daß ein Arbeiter den Gefäßen durch
bloßes Blasen so mannigfaltige Formen zu verleihen wußte, wie
man sie mittelst der Hände ihnen kaum zu geben vermöchte.
In einem späteren Abschnitt des Buches finden wir folgende
Stelle: „Was von jenem römischen Glasarbeiter gerühmt wurde,
der durch bloßes Blasen den Gefäßen mannigfache Gestalt zu
verleihen gewußt hatte, das läßt sich zu einem ebenso verdienten
Lobjpruche für jene von Venedig formuliren. Hier diente die
Technik zur Hervorbringung der einfachsten wie der reichsten
Formen." Da haben wir also Beispiele für eine Mnndfertig-
keit ganz eigener Art, welche uns in Erstaunen versetzt, wie
uns die Handfertigkeit vorzüglicher Metalltreiber zur Bewun-
derung nöthigt.

Aber nicht allein die außerordentliche Meisterschaft in der
Behandlung des Materials und in der Ausnützung seiner
Eigenschaften fesselt unsere Aufmerksamkeit; der Inhalt der
Darstellungen auf Elfenbein- oder Holztafeln, auf Goldpokalen,
auf Steinkrügen, auf Schilden, Waffen u. s. w. beschäftigt uns
nicht weniger. Wir können wahrnehmen, wie die Meister nicht
bloß an denl Material, welches sie verarbeiteten, ihre Lust hatten,
was schon erwähnt wurde, sondern auch an dem Inhalt dessen,
was sie darstellten.

Es wird uns durch den Inhalt des Dargestellten bald
dieser bald jener Zeitcharakter auf das Anschaulichste vergegen-
wärtigt. So werden wir beim Anblick einer Reihe von Elfen-
beinschnitzwerken auf das Lebhafteste in jene Epoche des Mittel-
alters versetzt, in welcher die Gottesminne und die Frauenminne
die Gemüther bis zur Extase trieb. Der religiöse Cnltus und
der Frauencultus entzückte und verzückte die Geister. Betrachten
wir eine Reihe von Werken aus dem vierzehnten Jahrhundert.
Da seheil wir ein Altärchen von Elfenbein; Maria trägt das
Jesuskind auf dem Arm. Es ist ein aus tiefster Seelenandacht
geschöpftes Werk. Nicht weit davon bemerken wir eine ganze
Gruppe von Elfenbeintäfelchen mit Darstellungen von Liebes-
paaren und Erstürmungen von Minnebnrgen. An einer der
Minneburgen geht der Sturm seinem Ende entgegen. Edel-
damen schauen aus den Fenstern heraus, während oben zwischen
den Zinnen schon die Eroberer ihre Beute in Empfang nehmen.
Auf einem anderen Täfelchen sind zwei Liebende dargestellt,- über
welchen eine gothische Architektur sich reizend aufbaut; durch
letztere werden auch die Räume für musicirende Engel gebildet,
 
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