Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift des Kunst-Gewerbe-Vereins zu München — 25.1876

DOI Artikel:
Berlepsch-Valendas, Hans E. von: Renaissance-Interieurs der Schweiz, [2]
DOI Artikel:
Lichtenstein, ...: Bemerkungen zum 1. Blatt des 5. Heftes
DOI Artikel:
Beschreibung der Kunstbeilagen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7031#0024
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
4

Hof zu Zürich aufzuweisen. Doch verdrängte die erhöhte Leich-
tigkeit der Stühle und Tabourets auch endlich diese letzte gothi-
sche Reminiscenz.

Es kamen die gedrechselten Füße, die geschwungenen Arm-
lehnen auf, und an die Stelle classischer Gediegenheit und Un-
bequemlichkeit treten überall luftigere, bewegtere Formen. Was
an schwerem Mobiliar vorhanden, verschwindet nach und nach
aus den Gesellschafts- und Wohnräumen, — vieles gute davon
machte dem Neuen Platz und verschwand auf Nimmerwiedersehen
in Speichern und Holzböden. An den neuen Möbeln blieb es
nun bald auch nicht bei dem einfachen, leichten Gestell. Die
Schnitzerei ließ bald keinen Theil mehr unberührt und am Ende
des 17. Jahrhunderts treffen wir Stühle und Tische, deren
reiche Schnitzerei eine freie Benutzung, ohne die Furcht, irgend
etwas abzubrechen, kaum zuläßt. Es ist keine Frage, daß in
den Grundformen der Möbel des 17. Jahrhunderts eine bei
Weitem richtigere Stplerkenntniß für die Behandlung des Holzes
liegt, als in denen des 16. oder vorhergehenden Jahrhunderts.
Leider blieb die richtige Anwendung des Holzstyles eben nicht
nur aus die Möbel beschränkt, sondern machte seinen Curven-
reichthum auch bald monumental bemerkbar. Und so lösten sich
nach und nach alle zuvor allzustrengen Formen auf in ein
pflanzenartiges Gewirr und das 18. Jahrhundert sieht das
vollständig entgegengesetzte Extrem, dessen innerstes Wesen nicht
besser charakterisirt werden konnte als in den Worten Sempers,
womit er den Rococogeschmack deftnirt:

„Das Pegma löst sich in gleichsam flüssig vegetabilische,
der strengen Regelmäßigkeit widerstreitende Elemente auf." —

Bemerkungen

zum ersten Blatt des fünften Heftes.

Von vr. Lichtenstnn.

In den Nummern 3 und 4, 5 und 6, 11 und 12 des vier-
undzwanzigsten und in den Nummern 1 und 2 des fünfund-
zwanzigsten Jahrgangs dieser Zeitschrift steht eine Abhandlung,
in welcher ich zu beweisen versuchte, daß ganze Reihen neuer
Motive für die Verzierungskunst den Erzeugnissen der Maschinen-
baukuust abgesehen werden könnten. Ich erwähnte damals, daß
nach dem Erscheinen der ersten Nummern meines Aufsatzes der
Maler Wilhelm Steinhaufen, nachdem er die Durchführbarkeit
meiner Forderungen stark angezweifelt hatte, dessenungeachtet
eine Anzahl von Zeichnungen entworfen habe, zu welchen die
verschiedenartigen Bewegungsweisen mechanischer Vorrichtungen
die Motive hergaben. Steinhaufen benützte jedoch zu seinen
Entwürfen nicht ausschließlich die Bewegungsweisen der künst-
lichen Vorrichtungen, welche erst unserem Eisenbahnzeitalter ihre
Entstehung verdanken. Eine kleine Anzahl jener für mich wichtig
gewordenen Entwürfe des genannten Malers ist auf dem ersten
Blatte dieses Heftes mitgetheilt. lieber zwei derselben habe ich
mich bereits in meiner obenerwähnten Abhandlung ausgesprochen.
Nur einige Bemerkungen will ich noch beifügen. Die beiden
auf dem Pfropfen sich herumschwingenden Kinder könnten auch
einen Regulator schmücken. An einem solchen dürfte das Fi-
gurenpaar wegen der Schnelligkeit seiner Bewegung sich noch
bezeichnender ausnehmeu. Das Rad verträgt die Ausführung
an einer Nähmaschine oder auch an einem Spinnrad; aber es
würde auch statt der in der Regel nichtssagenden und lang-
weiligen Rosetten Wand und Decke zumal in Bahnhöfen zieren
können. Es müßle natürlich je nach der Verwendung zweck-
mäßig in das entsprechende Material übersetzt werden. Noch
will ich hinzufügen, daß die drei Gestalten, welche das Rad
umwälzen, auf dem Holzschnitt nicht ganz dieselbe Freiheit und

Schnelligkeit der Bewegung zeigen, wie auf der Original-
zeichnung.

Es wäre zu wünschen, daß begabte Künstler sich daran
erinnerten, daß jede Epoche etwas Eigenes besitzt, wodurch ihre
Phantasiethätigkeit ganz besonders erregt wird. Die sogenannten
Wunder der Neuzeit, wie die Locomotive, der elektrische Tele-
graph, überhaupt die künstlichen Vorrichtungen zur Bändigung
und Dienstbarmachung der zügellosen Naturkräfte sind solche
Erregungsmittel. Warum sollte nun gerade in unseren Tagen
der künstlerische Gestaltungstrieb nicht aus dem Eigensten des
Zeitalters, welchem wir angehören, schöpfen dürfen? Daß die
Möglichkeit zu solchen Neuschöpfungen vorhanden ist, daß die
künstlerische Gestaltungskraft sich der Bewegungsweiseu der
Mechanismen in ganz neuer Weise zu bemächtigen vermag,
zeigt unser Blatt.

Wiewohl dasselbe zu den ersten Versuchen auf der neuen
Bahn gehört, lassen sich doch schon einige Regeln, oder, ich
möchte lieber sagen, einige Grundmotive für weitere Compost-
tionen daraus ableiten. Einmal nemlich lassen sich die Personen,
welche die Bewegungsweisen der Mechanismen versinnlichen, so
darstellen, als ob ihnen diese Bewegungsweisen in die Glieder
gefahren seien, oder umgekehrt so, als ob erst von ihnen aus
die Bewegungsformen sich in die Mechanismen fortpflanzten.
Aber es kann auch Vorkommen, daß die Bewegungsform des
Mechanismus den Personifikationen in die Glieder zu fahren
und zugleich von diesen ans sich in den Mechanismus fortzu-
pflanzen scheint, wie das bei der Zeichnung des Pfropfenziehers
der Fall ist.

Ferner zeigt unser Blatt, von welcher Wichtigkeit die Zahl
der Figuren ist, welche einen bestimmten Mechanismus künst-
lerisch versinnlichen soll. An dem Rade z. B. sind nach der Zahl
der gebogenen Speichen nur drei Figuren möglich. Diese Noth-
wendigkeit, eine ganz bestimmte Zahl ins Auge zu fassen, wirkt
auch auf die Erfindung der ganzen Situation, in welcher die
Figuren dargestellt werden, durch welche eben bestimmte Be-
wegungsformen zu versinnlichen sind. Wie ein gegebener Raum,
in welchen hinein ein Künstler komponiren muß, auf die Phan-
tasie befruchtend wirkt, so hier die gegebene Zahl.

Beschreibung der Kunstbeilagen.

Heft 5, Blatt 1. Rad, Pfropfenzieher und Pfropfen von
Wilhelm Steinhaufen. (Siehe die obigen
Bemerkungen.)

Blatt 2. Damenschreibtisch von A. Pössenbacher,
ausgeführt in dunkelgebeiztem Eichenholz.

Heft 6, Blatt 1. Nadelkissen und Endigungen von Schirm-
ständern, von H. Schlitt. Nadelkissen in
natürlicher Größe. Gnom, Schnecke und
Untersatz aus Aluminium, Pilz aus
rothem Sammt und Bronze zu verfer-
tigen.

Blatt 2. Regulatornhrgehäuse von A. Pössenbacher,
in gebeiztem Eichenholz ausgeführt; die
vier plastischen Eckverzierungen um das
Zifferblatt in Bronceguß und vergoldet.

Redigirt unter Verantwortlichkeit des Redaktionsausschusses von vr. Lichtenstein. — Kgl. Hof- lt. Universitäls-Buchdr. v. vr. &. Wolf & Sohn in München.
 
Annotationen