Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift des Kunst-Gewerbe-Vereins zu München — 25.1876

DOI Artikel:
Lichtenstein, ...: Die Deutsche Kunst- und Kunstindustrie-Ausstellung in München, [1]
DOI Artikel:
Kunstgewerbe-Ausstellung in Amsterdam für das Jahr 1877
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7031#0030
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
2

in bereit Spiel der Sang und Klang in den Seelen der Lieben-
den sein Echo zu finden scheint. Diese Scenen sind mit be-
zaubernder Naivität und inniger Empfindung gegeben.

Welch ganz anderen Charakter zeigen uns die Werke des
sechzehnten Jahrhunderts, welche in so reicher Fülle vorhanden
sind. Die Repräsentation des Religiösen fehlt nicht; man
braucht sich ja nur der wunderbaren Madonna zu erinnern,
welche Nürnberg zu besitzen das Glück hat. Wie edel und ver-
geistigt ist das Antlitz, wie versetzt diese Gestalt ihr innerstes
Seelenleben in die andächtig gefalteten Hände! Die ganze Figur
ist das personifizirte Wachsthum aufwärts zum Himmel. Und
gleich in der Nähe, im Schatzkasten, wimmelt es von Göttern
und Göttinnen des classischen Alterthums, welche in der Epoche
der Renaissance die Phantasie bevölkerten und die verschiedensten
Vorgänge des Menschenlebens und Naturlebens versinnlichen
halfen. Von der ganz ungenirten Vermengung des Christlichen
und der heidnischen ©ötterinett während der Epoche der Re-
naissance gibt uns eine Taufschüssel mit Kanne aus der Hof-
Kapelle zu Gotha ein deutliches Beispiel. In der Bauchung
der Schüssel sehen wir die Hochzeit zu Cana; am Rande der
Schüssel und an der Kanne finden wir Meeresgottheiten. Wie
erklärt sich das? Es beherrschte eben eine außerordentliche Vor-
liebe für Personifikationen die ganze Zeit. So wurde hier das
Element des Wassers, welches zu einer der heiligsten Cultus-
handlungen der Christenheit dienen soll, durch Meeresgottheiten
personisicirt. So konnte man in der Ausstellung verfolgen, wie
die abgeschiedenen Generationen des deutschen Volkes durch ihre
künstlerischen Vertreter je nach den verschiedenen Zeitaltern immer
wieder anders das abbildeten und zwar meisterhaft abbildeten,
was in ihnen vorging; und es ging viel in ihnen vor.

Die Werke unserer Väter würden nicht so imponirend da-
stehen, wenn in den Vätern, in den Urhebern jener Werke alles
das, was zur künstlerischen Gestaltungskraft gehört, so willkür-
lich wie in der modernen Nachkommenschaft auseiuandergerissen
worden wäre. Bei jenen gab es nicht wie heutzutage eine ab-
strakte Trennung von Stilgefühl und Naturgefühl, vom Sinn
für das Gegenständliche und Malerische, und um mich eines jetzt
sehr beliebten Ausdruckes zu bedienen, vom „Was" und „Wie"
der Darstellung.

Es war in dem von Leben strotzenden Zeitalter der Renaissance
selbstverständlich, daß alle die schmückenden Figuren und Orna-
mente lebensfähig und wie gewachsen aussehen müßten; Formen
und Farben galten nicht für nebensächliche Ausdrucksmittel für
irgend einen geistreichen oder anch geistlosen Einfall, welche
keinen anderen Beruf hätten, als in dem Kopse des Beschauers
jenen Einfall zu reproduziren. So war es nicht; das schöpferische
Leben, welches dieMeister aus sich hervorholten und welches sie in
die Werke ihrer Hände zu bringen verstanden, sollte auch luden
Beschauern eine starke Lebensempfindung und ein kräftiges
Naiurgefühl Hervorrufen. Ein sicher gehendes Stylgefühl sorgte
zugleich für den zweckmäßigen Aufbau der Gerüthschaften; es
sorgte für eine originelle und schöne Prostlirung, welche vom
Fuß bis zur obersten Endigung die z. B- an einem Pokal oder
an einem Schrank horizontal übereinandergelagerten Glieder
verbindet und zusammenfaßt; eine solche Profilirung soll der
Ausdruck für die einheitliche Entwickelung von unten nach oben
sein, so daß das Ganze in der angegebenen Richtung emporzu-
wachsen scheint, wodurch ebenso das Naturgesühl, der Sinn
für das lebendige Wachsthum wie das Stylgesühl befriedigt
wird. Es herrschte dabei eine große Sicherheit in der stylisirenden
Umbildung der Natursormen, wie sie durch die verschiedenen Eigen-
schaften der zu bearbeitenden Rohstoffe, oder wie sie durch die Be-
schaffenheit der auszuschmückenden Räume gefordert wird. Bei dieser
regelrechten Umbildung behielt aber das Ornament den freien Zug
und Schwung und die Elasticität des Lebens. Die Naturformen
wurden durch die stylgerechte Behandlung nicht versteift und

abgetödtet, wie das jetzt nur allzuhäufig geschieht. Und was den
Inhalt der Darstellungen selbst anbelangt, so standen dieMeister
demselben, wieschonangedeutetwurde, nicht ohne inneres Interesse
gegenüber ; sie stellten Dinge dar, welche in der That ihren Geist
beschäftigten und ihren Empfindungen Nahrung gaben. Die
Gegenstände, welche sie darstellten, waren ihnen keineswegs ein
gleichgültiger Anhaltspunkt, welcher ihnen nur dazu gedient
hätte, ihre Virtuosität in der Handhabung der Darstellungs-
mittel, ihre Virtuosität in der Mache zu zeigen.

Alles in Allem genommen sieht uns die Kunst der abge-
schiedenen Geschlechter ungleich lebendiger an, als die Kunst des
jetztlebendeu Geschlechtes. Letzteres hat in manchen seiner Unter-
nehmungen etwas Kühnes, ja selbst Verwegenes; doch auf dem
Gebiet der Kunstindustrie besitzt es nicht den Muth, aus dem
Eigensten zu schöpfen. Aber nur aus dem eigensten Wesen der
einzelnen Personen wie ganzer Generationen quillt die Lebensfülle.

Kunst^verbe Ausstellung

i n A m st er da m
für das Jahr 1877.

Auch in den Niederlanden soll jetzt etwas für die Hebung
des Kunstgewerbs geschehen, und wahrlich, es ist hohe Zeit. Zu
lauge hat mau das demüthigende Verhältniß ertragen, daß die
Ehre desjenigen Landes, dessen Delfter Fa'i'encegefäße, dessen
Fließe für, Fußböden und Tische, dessen Schränke und Zinn-
Geräth aus den früheren Jahrhunderten die Museen und
Sammler hochschätzen, in der Gegenwart auf den Ausstellungen
durch die Colouien gerettet werden muß. Indessen, wenn wir
uns etwas spät auf den Weg machen und manchenNachbarn ziem-
lich weit vorausgeeilt sehen, so haben wir darin den Gewinn,
aus den Erfahrungen anderer für uns Lehren ziehen zu können.
Man folgt bei dem Versuch, in die niederländische Kleinkunst
neues Leben zu bringen, der in anderen Ländern erprobten Me-
thode und doch nicht gänzlich, nicht ohne eine kleine Neuer-
ung , welche hoffentlich ein besonderes Interesse erregen wird.
Die erste Frage muß hier, wie im entsprechenden Fall überall,
die sein: Was besitzen wir noch aus den besseren Zeiten?
Was vermögen wir noch heutzutage? Darüber nun soll eine
Ausstellung Rechenschaft ablegen, welche, veranstaltet von der
Section Amsterdam der Vereeniging tot Bevorderiug van Fa-
briek en Handwerksnijverheid in Nederland zur Feier des fünf-
undzwanzigjährigen Bestehens dieses Vereins im nächsten Jahre
während der Monate Juni, Juli und August hier in dem
Palais voor Volksvlijt stattstnden wird. Für dieselbe sind drei
Hauptabtheilungen angenommen worden, nämlich 1) inländische
kunstgewerbliche Erzeugnisse der Gegenwart; 2) ausgezeichnete
ältere Arbeiten (daß dieselben niederländischer Herkunft sein
müssen, ist nicht gesagt, und wir nehmen daher an, daß eine
solche Beschränkung auch nicht beabsichtigt sei, sondern überhaupt
gezeigt werden solle, was Holland an hervorragenden nach-
ahmenswerthen Werken jener Art besitzt); 3) und das ist die Neuer-
ung, Arbeiten, welche nt Folge eines 25 Aufgaben umfassenden
Preisausschreibens eingesandt werden. Diese Concurrenz ist
international, und da die Aufgaben interessant sind und man
die Preise nicht niedrig gestellt hat, darf wohl eine ziemlich leb-
hafte Betheiligung auch des Auslandes erwartet werden. Hier
indessen bemerken wir eine Lücke in dem soeben ausgegebenen
Programm. Ausdrücklich wird für diese Abtheilung die Pro-
grammbestimmung außer Kraft gesetzt, nach welcher die Aus-
stellungscommissiou das Recht hat, Anmeldungen von Gegen-
ständen znrückzuweisen, welche nach ihrer Ansicht nicht dem
Zwecke der Ausstellung entsprechen würden, und da außerdem
 
Annotationen