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Zeitschrift des Kunst-Gewerbe-Vereins zu München — 25.1876

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Lichtenstein, ...: Die Deutsche Kunst- und Kunstindustrie-Ausstellung in München, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7031#0037
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Zeitschrift

des

Kunst-Gewerbe-Vereins.

Sechsmidzwanzigstcr Jahrgang.

München._E; 9 «J- MO. 1876.

Die Zeitschrift erscheint monatlich mit wenigstens zwei Seiten Text und zwei Kunstbeilagen. Die Bereinsmitglieder erhalten die Zeitschrift unentgeltlich.
Im Buchhandel kostet dieselbe M. 7. der Jahrgang. Inserate geeigneten Inhaltes werden mit 20 Pf. für den Raum einer gespaltenen Petitzeile berechnet.
S t änh ig e Inserate erhalten eine entsprechende Preisermäßigung. In- und Auswärtige wollen sich dieserhalb an die Buchhandlung von Theodor Ackermann

dahier wenden.

Die deutsche Kunst- und Kunstindustrie-Ausstcllung

i n M ü n ch e n.

II.

Von vr. Lichtenstein.

Ich habe im vorigen Heft dieser Zeitschrift einige Haupt-
gesichtspunkte hervorgehoben, von welchen aus die Werke unserer
Voreltern betrachtet zu werden verdienten. Erstlich konnte das
Augenmerk auf die Meisterschaft und ans die Lebensfrische ge-
richtet werden, mit welcher das verschiedene von der Mutter
Natur geborene Material behandelt wurde; zweitens tonnte
unsere Aufmerksamkeit durch die Bedeutung der dargestellten
Figuren und Scenen erregt und gefesselt werden, in welchen sich
die grundverschiedene Anschanungs- und Empfindungsweise unseres
Volkes auf seinen verschiedenen Lebensstufen deutlich genug kund-
gab; und drittens konnte man beobachten, wie Alles, was zur
schöpferischen Thätigkeit gehört, ohne verderblichen Zwiespalt
zusammenwirkte; denn Stylgefühl und Naturgefühl offenbarten
sich nngetrenut, und das Leben, welches den zweckentsprechenden
Formen der Geräthschaften sowohl als den auf ihnen darge-
stellten Figuren und Scenen von den Händen der Meister mit-
getheilt wurde, verschmolz zur völligen Einheit mit jenem Leben,
welches dieselben Meisterhände aus dem zu bearbeitenden Ma-
terial je nach seinen Eigenschaften, je nach seiner Textur, Färb-
ung, Biegsamkeit u. s. w. hervorzulocken verstanden. Kurz, die
Freude an sinnreichen, bedeutungsvollen Darstellungen ging
mit der Freude an den technischen Darstellungsmitteln Hand
in Hand.

Den Ruhm, welcher hiemit den Werken unserer Väter und
den Vätern dieser Werke gespendet wird, möchten doch Manche
durch den Vorwurf schmälern, vornemlich die Meister des sech-
zehnten Jahrhunderts hätten durch die Verletzung der Grenzen
gesündigt, welche nothwendigerweise zwischen der sogenannten
hohen Kunst und dem Kunstgewerbe gezogen werden müßten.
Es wird gesagt, jene Meister hätten oft zu sehr den Ehrgeiz
gehabt, eigentliche Künstler zu sein; die mißliche Folge davon
sei die gewesen, daß die Grenzverletzer durch ein Uebermaaß
künstlerischer Zuthat viele Gebrauchsgegenstände geradezu un-
brauchbar gemacht hätten.

Ich will zunächst so thnn, als stellte ich mich auf die Seite
der Tadler, und demgemäß will ich als ein schlagendes Beispiel
für die Berechtigung jenes Vorwurfs ein herrliches Onyxgefäß
aus der hiesigen Schatzkammer anführen, welches sich im Schatz-
kasten der Ausstellung befand. Ein goldener Neptun beugt sich
vom Rande der Onyxschaale zu deren Höhlung herab; mit zwei
Goldkettchen zügelt er zwei goldene Seerosse, welche an den
beiden Seitenwänden der Höhlung mit ihren emaillirten Ringel-
schweifen sich lebhaft bewegen. Unzweifelhaft ist dieses Gefäß
nicht mehr ein Gebrauchsgegenstand, da jede Benützung durch
die i.n der Höhlung der Schaale sich tummelnden Seerosse ver-

wehrt wird. Das Gefäß ist für den gewöhnlichen Zweck,
welchen doch seine Hauptform ausspricht, unbrauchbar gemacht;
es ist ein bloßes Schaustück, es ist ein bloßer Schmuckgegen-
stand für die Tafel oder für die Credenz geworden. Noch ein
Paar Beispiele! Ebenso wie mit dem eben erwähnten Onyx-
gesäß verhält es sich mit einem andern Gefäß ans der hiesigen
Schatzkammer, dessen Erfindung dem Hans Mielich zngeschrieben
wird. In der Höhlung dieses aus Rhinozeroshorn gearbeiteten
Gesäßes trägt ein von Edelsteinen umfunkelter Knauf eine von
zwei emaillirten Delphinen umgebene kleinere Schaale, in welcher
die auch emaillirten Goldfigürchen Neptun's und Amphitrite's
thronen. Zn beiden Seiten der Hornscbaale fesseln die reizvoll-
sten Gruppen emaillirter Goldfigürchen unsere Blicke. Auf
jeder Seite der Schaale thront Jupiter mit seinem Adler zwi-
schen zwei hingelagerten Nymphen; ein Edelstein dient ihm zum
Schemel. Diese Gruppe bildet, sich wiederholend, die lebendige
Bekrönung für die vertieften Räume auf beiden Seiten; in dem
einen dieser Räume taucht Venus ihren Fuß in die grün-
emaillirten Goldwellen; sie ist umgeben von einer Gefährtin im
Goldgewande und von dem kleinen Amor, welcher auf einer
Edelsteinfassnng sitzt. In der Vertiefung der anderen Seite
nehmen zwei weißemaillirte Genien einen großen von einem
Uhrzifferblatt umschlossenen Rubin in die Mitte und darüber
eilen zwei geflügelte Goldroffe dahin. Daß dieses zauberhafte
Werk nicht für den gewöhnlichen Gebrauch geschaffen sein kann,
versteht sich von selbst. Noch ein Beispiel: der kleine Einband
aus dem Coburg'schen Hausschatz konnte auch nicht dazu be-
stimmt sein, häufig zwischen den Fingern gehalten zu werden.
Was ist das für eine Fülle von emaillirten Goldfigürchen
und Edelsteinen auf so winzigem Raume und doch sieht dieser
bei der glücklichen Vertheilung der Figuren und Edelsteine nicht
überfüllt aus. Der Rücken des Einbandes gliedert sich in drei
Abtheilungen; in der oberen ist der Weltenschöpfer von nenge-
schaffenen Thieren umringt, die mittlere enthält die Erschaffung
Eva's, in der unteren Abtheilung sehen wir das erste Menschen-
paar am Baume. Auf dem einen Deckel des Einbandes um-
rahmt eine rundbogig abgeschlossene Nische die Anbetung der
Hirten, während die Nische des anderen Deckels als Um-
rahmung für den auferstandenen Heiland erscheint. Die Bogen-
architektur wird durch aneinandergefügte Edelsteine gebildet,
welche die heiligen Gestalten im Innern der Nische umstrahlen.
In' den Ecken des ersten Deckels sitzen die Evangelisten, in den
Ecken des anderen finden wir die heiligen Frauen, welche Kränze
halten.

Ich habe nun so gethan, als stellte ich mich den ange-
griffenen Grenzverletzern gegenüber auf die Seite der Ankläger;
ich habe an einigen hervorragenden Werken dargethan, daß ihr
künstlerischer Schmuck den Gebrauch ganz ausschließt oder doch
sehr beeinträchtigt, während sie doch ihrer Form nach Gebrauchs-
 
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