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Zeitschrift des Kunst-Gewerbe-Vereins zu München — 25.1876

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Lichtenstein, ...: Die Deutsche Kunst- und Kunstindustrie-Ausstellung in München, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.7031#0045
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des

G ewe rb e- V er ei n s.

Sechsundzwanzigster Jahrgang.

München. E 11 # 12. 1876.

Die Zeitschrift erscheint monatlich mit wenigstens zwei Seiten Text und zwei Kunstbeilagen. Die Bereinsmitglieder erhalten die Zeitschrift unentgeltlich.
Im Buchhandel kostet dieselbe JC. 7. der Jahrgang. Inserate geeigneten Inhaltes werden mit 20 Pf für den Raum einer gespaltenen Petitzeile berechnet.
St änd ig e Inserate erhalten eine entsprechende Preisermäßigung. In- und Auswärtige wollen sich dieserhalb an die Buchhandlung vouTheodor Ackermann

dahier wenden.

Die deutsche Kunst- und Kunstindustrie-Ausstelluug in

München-

ui.

Von vr. Lichteustein.

Was für Erkläruugsgründe gibt es nun für die Lust au
der Hervorbringung wie am Besitz kunstgewerblicher Erzeug-
nisse, weiche, obschon sie ihrer Form nach zu den Gebrauchsge-
genstäuden zu rechnen sind, doch mcht dazu gebraucht werden,
oder auch gar nicht dazu gebraucht werden können, wozu ihre
Form ausfordert. Versuchen wir die Lösung dieses Räthsels.
Alle Volksschichten fühlen sich gedrängt, den. Bedürfnissen des
täglichen Lebens, den von der Mutter Erde zur Fristung des
Lebens gebotenen Stoffen eine höhere Weihe zu geben. Diese
Weihe kann einen religiösen und einen poetischen Charakter
haben. Es wird vor der Mahlzeit der Segen über die lebenfristen-
den Nahrungsmittel und Genußmittel gesprochen; es werden
Erntefeste gefeiert, um dem Schöpfer für die Früchte des Bodens
zu danken; mit solchen Früchten werden Altäre und Festwägen
geschmückt. Besonders aber sind es zwei Flüssigkeiten, welchen
eine religiöse und poetische Weihe zu Theil wird. Dem Wasser
und dem Wein wird die höchste religiöse Weihe in den Sacramenten
der Taufe und des Abendmahls zu Theil, und außerdem werden
beide Nalurgaben in der mannigfachsten Weise poetisch verherr-
licht. Das kristallklare, aus dem Erdboden.hervorsprudelnde,
den Menschen drirch und durch erfrischende und erquickende
Wasser hat seine besondere Poesie und ebenso der Wein, welcher
alle Lebensgeister erregt und erheitert.

Jene Weihe, mit welcher das Volksgemnth die Spenden
der Natur nnikleidet, wird in bleibender Weise auf eine Aus-
wahl von Gefäßen übertragen, welche ihrer Form nach zur
Aufnahme der Naturgaben bestimmt sind; ich sage ausdrücklich:
in bleibender Weise; denn hiedurch erklärt sich der Umstand,
daß bei Armen und Reichen bestimmte Gefäße der Benützung
und hiemit der Abnützung entzogen werden. Sie bleiben als
Schaustücke unbenützt dastehen.

Ein zweiter Erklärungsgrund für die Umwandlung ver-
schiedener Gebranchsgegenstände in bloße Schaustücke liegt in
der künstlerischen Lust an der Vielgestaltigkeit der Räume, welchen
die Compositionen angepaßt werden müssen. So kommt es, daß die
Formen der Gefäße, der Meubel, der Waffen u. s. w., also
Formen, welche für ganz bestimmte Dienstleistungen erfunden
wurden, nicht minder die Compositionslnst der künstlerischen
Phantasie reizen, wie diese durch einen gegebenen Raum an
einem Gebäude zu einer ganz besonderen Compositionsweise
gereizt und zugleich genöthigt wird. Wenn ein Künstler z. B.
ein Kuppelrund auszumalen hat, so muß er ganz anders kom-
poniren, ganz anders die Figuren gruppiren, als wenn er eine
viereckige. Fläche an der Wand auszumalen hat. Ebenso kom-

ponirt ein Bildhauer natürlicherweise für einen dreieckigen Giebel
ganz anders, als für ein Feld in Medaillonform. Für den
Giebel muß er eine Situation erfinden, welche es möglich macht,
daß gegen die Seitenecken zu die Figuren knieen, sitzen, oder liegen.
In allen diesen Fällen ist es der eigenthümlich umgrenzte Raum,

! welcher die Phantasie zu einer besonderen Compositionsweise
herausfordert. Sollte es nun nach Erwägung dieser allbekann-
ten Thatsache uns so völlig unerklärlich vorkömmen, daß die
ächt künstlerische Lust zu verschiedenartigen, durch den Raum be-
! dingten Compositionsweisen auch durch jene Formen. wachgerufen
wird, welche sich in so außerordentlicher Mannigfaltigkeit an
Gebrauchsgegcnständenvorfindeu ? Gerade bei dem im sechzehnten
Jahrhundert herrschenden, von Albrecht Dürer und Anderen
deutlich genug ausgesprochenen Drang, immer wieder Neues zu
erfinden, ist es nicht verwunderlich, baß, noch ganz abgesehen
von der Ausschmückung, schon die zweckentsprechenden Grund-
formen, daß schon der Aufbau und die Gliederung der Gefäße
auf das Mannigfachste variirt wurden; an den im Glaspalaste
ausgestellten Prunkgefäßen beobachteten wir die versckiedenartigste
Anordnung der übereinander sich aufbauenden horizontalen Glie-
! derungen, welche Verschiedenartigkeit natürlich auch sich auf die
I Gesammtprofile der Gefäße erstreckt.

Die vielgestaltigen Räume der Gebrauchsgegeustände fordern
nun die Compositionslnst der Meister zur Anwendung des figür-
lichen Schmuckes auf. Und siehe da! Bei dieser Anwendung
haben sich nicht wenige Meister erkühnt, Gebrauchsgegenstände
geradezu unbrauchbar zu machen. Das ist es hauptsächlich,
was als verbotene, Grenzüberschreitung, was als eine Irrfahrt
in das Gebiet der hohen Kunst und als ein Raub an dem
Eigenthum dieser hohen Kunst verurtheilt wird. Und doch sehen
die beiden im vorigen Heft von mir erwähnten Gefäße, deren
Höhlungen durch die darin sich aufhaltenden Seerosse und
Meeresgottheiten für die Aufnahme von Flüssigkeiten unbrauchbar
gemacht werden, nicht gerade wie abschreckende Beispiele aus.
Hier sind die zwei Erklärungsgründe, welche ich für solche Com-
positionen angeführt habe, an ihrem Plytz. Einmal erregt die
Gestalt der Höhlung die Compositionslnst des Meisters. Es
dient ihm die Höhlung des Gefäßes dazu, anstatt der Flüssig-
keit, also im eigentlichsten Sinn an der Stätte der Flüssigkeit
die Repräsentanten des Flüssigen aufzunehmen. In der Höhlung
des einen Gefäßes thronen Neptun und Amphitrite, in der
Höhlung des anderen tummeln sich die Seeroffe, welche Neptun
vom Rande der Onyxschaale aus zügelt. So ist in bleibender
Weise die Flüssigkeit, zu deren Aufnahme die Höhlung bestimmt
ist, in der letzteren repräsentirt. Selbst die Bewegung des
Flüssigen ist durch die Bewegung der Ringelschweife der See---
rosse versinnlicht, wie auf dem herrlichen Marmorrelief in der
Glyptothek, welches den Hochzeitszug Neptnn's und Amphitrite's
darstellt, ohne irgend welche Andeutung des Wassers dieses auch
 
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