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Dengler, Georg [Hrsg.]
Kirchenschmuck: Sammlung von Vorlagen für kirchliche Stickereien, Holz- & Metallarbeiten & Glasmalereien — N.F. [1.].1873/​75

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Zweites Heft (1873)
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Archäologische Miszellen
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https://doi.org/10.11588/diglit.26636#0063
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^ro. 3. 1873.

Archäologische Miszellen.

Der Einflus; -er Wormser Bauhütte.

Wir dürfm bei unseren das Mittelalter betreffenden Kunststudien
das große Ziel nicht aus dem Auge verlieren, daß wir allmälig die
losen Glieder der Kette nähern und aus Einzelheiten ein Ganzes ge-
winnen. Vielfache Durchforschung haben bereits die großen Kunst-
centren, wie Köln, Straßburg u. s. w. gefunden. Es mag allerdings
nicht geringen Schwierigkeiten unterliegen, mit einiger Sicherheit zu
bestimmen. in welcher Beziehung ein bedeutender Kunstplatz mit einem
oder mehrerm anderen gestanden, wie und wie weit stch dessen Ein-
fluß auf die ihm gleichzeitige künstlerische Thätigkeit jeder Art geäußert.
Wir staunen einm Kölner Dom an, wir bewundern eine Elisabethen-
, kirche zu Marburg, aber ihre Beziehungm zur Vergangmhcit und Zu-
kunft, diese Bauten als Wirkungm vorausgehender Kräfte und zu-
gleich als Ursache neuer Erscheinungen liegen wie noch ungelöste Räthsel
vor uns.

Welch' geringe Umstände hinreichen, zu einem Resultate in dieser
Hinsicht zu gelangm, ergibt sich aus Folgmdem:

Jm Frühjahre 1872 fand sich beim Abbruche des auf der Süd-
seite des Domes zu Worms gelegmen sogmannten Domspeichers, also
auf der Stelle der ehemaligen Stistsgebäude, ein ziemlicher Reichthum
einzelner Architekturstücks, wovon ein schöner Theil der Ausgangszeit
des romanischen Styles angehört. Mir fiel ein charakteristisches größeres
Kapitäl in die Augen, und mgenthümlicher Weise zugleich mit diesem
ein verjüngtes Exemplar desselben.

Ganz derselben Kapitälsbildung an einem anderen Orte erinnerte
sich mein Gedächtniß bald darauf. Das noch erhaltene Portal der
Wormser Stiftskirche St. Andreas nahe bei dem Dome aus der ersten
Hälfte des 13. Jahrhunderts zeigt nämlich ähnliche Bildung. Bald dar-
nach stieß ich beim Durchblättern von Sigharts reich illustrirtem Werke
über die bildendm Künste in Bayern auf ganz gleiche Kapitäle in
der benachbarten Rheinpfalz, nämlich zu Otterberg, Rothmkirchen
und Seebach.

Jm beginnenden 13. Jahrhunderte herrschte eine ungeheuere Bau-
thätigkeit in der Pfalz, sagt Sighart S. 243. Die Haupteinwirkung
in künstlerischer Hinsicht scheint von Worms aus geschehen zu sein,
wmigstens deuten Bautm (z. B. Seebach) und historische Notizen da-
rauf hin. Sighart daselbst.

Ein Kapitäl der profanirtm Kirche zu Roshenkirchen bei Kirch-
heimbolandm gibt Sighart unter Nr. 85 S. 244 wieder. Vier Ka-
pitäle von einfacher und reicherer Bildung aus Otterberg stehen unter
Nr. 87 S. 249. Sighart will in der Klosterkirche zu Enkenbach den

HrlPolllDrhe Msrellc,,.

Otterberger Meister wiederfinden (S. 248), demnach hat also auch
Enkenbach unter Wormser Einfluß gestanden.

Möge tieferen und weiterm Forschungen Vorstehendes als Wink
gelten. An dieses eine Bauglied als Führer reihen sich gewiß andere:
Basemmte, Profilirungm, Vorhallenbildung, die die obige Annahme
befestigen. Ohnehin hingen ja theilweise die genanntm Klöster historisch
zu Worms oder standen durch ihre örtliche Lage im Kreise der Schwin-
gungen, mit Worms als Mittelpunkt.

Zum Schlusse die Erinnerung, wie sich bei vorangehmden Studien
eine handliche Bisthumskarte Deutschlands im Mittelalter mehr und
mehr als Bedürfniß herausstellt. Denn die kirchliche Vertheilung, basirt
auf ältere Eintheilungm (nach Sprache, Stamm, Eintheilung aus Römer-
zeit), bildete wieder die Basis für andere Gruppirungen des Lebens.

Worms. Kaplan vr. Falk.

Symbolisches am Wormser Dome.

Das Südportal am Wormser Dome mit seiner reichen Sculptur
(die Typik und Antitypik in der doppeltm HohlkehlMreihe, das sym-
bolische Thier in der Spitze des Giebels, die vier allegorischm Figuren)
ist noch nicht ganz erforscht. Unter dem Tympanum sehen wir eine
Art Kämpfer zu beiden Seitm. Auf der rechten Seite reitet eine schön
gekleidete männliche Person jugendlichen Alters, dm Blick gegen den
Himinel gerichtet, auf einem gesattelten Pferdchen, über dem letzteren
schwebt eine Taube; links sitzt eine ganz nackte Person auf einem un-
gesattelten Pferdchen, die Person wmdet sich zurück und macht den
Eindruck des Ungebändigten, Zügellosm. Es wird wohl hierdurch das
heilige, gezügelte, vom heiligen Geiste geleitete Leben ausgedrückt sein,
und auf der linken Seite das Gegentheil.

Alte Martins-Ttola i« Aschaffenburg.

Jn der Stiftskirche daselbst besindet sich eine sehr alte Stola von
vorherrschmd bläulicher Farbe. Sie mißt in der Länge drei Meter
und acht Centimeter, in der Breite sieben Centimeter; sie ist überall
gleich breit. Es sind rothe und weiße kleine Muster eingewebt. Sie
erscheint als ein Gewebe von Leinen und Seide, vornehmlich ersterem.
Jn weiß eingewoben ist neunmal: »In nmnino äoniini, om pro ins."
Sie stammt aus dem Stifte St. Martin zu Worms. Schannat sah
sie 1730 daselbst verwahrt in einem Kästchen von Elfmbei in oistulu
sburnsu rsIiZi086 U886rvatu und wurde für die Stola des hl. Martin
gehalten. Schannat glaubt, sie sei ein Geschenk Kaiser Otto's III.,

dem die Gründung der Stiftskirche zugeschrieben wird. Bei den un-
ruhigen Zuständm zu Anfang dieses Jahrhunderts gab sie ein Martins-
stiftsherr zu größerer Sicherheit nach Aschaffenburg, wo sie jbis jetzt
gebliebm ist.

Der Martinssessel im alten Mainzer Domschatze.

Als einer der durch Zahl wie Mannichfaltigkeit der Gegmstände
ausgezeichnetsten Kirchenschätze kann der ehemalige Mainzer Domschatz
betrachtet werdm. Ein in gewisser Hinsicht anziehmd geschriebenes
Schatzverzeichniß verdankm wir dem seiner Person nach noch nicht
ganz aufgehelltm Christian, der es seiner Mainzer Chronik vom Jahre
1250 einreihte. Jm Anfange des 14. Jahrhunderts kam ein neuer
Werthgegenstand zu dem Schatze, nämlich der goldme Martinsseffel,
uursu 8säs8 bsati Llui-tiui.

Bruschius in seinem 1549 publizirtm Epitome berichtet hierüber
Seite 15: „Erzbischof Peter krönte zu Prag dm König Johann den
Blinden, Sohn des damaligen Kaisers Johann, Graf von Luxemburg.
Das war nämlich ein dem Mainzer Erzbischofe eigenthümliches Recht,
den König von Böhmen zu krönen. Diesen Erzbischof beschenkte bei
seinem Weggange von Prag der genannte König mit einem goldenen
Seffel, der mit den werthvollsten Edelsteinen geziert war. Denselben
nennt noch heute zu Mainz das Volk nicht anders, als den St- Mar-
tinssessel."

Schon Trithemius gedmkt dieses Geschmkes in der Hirschauer
Chronik mit dem Bemerkm: „Nach geschehmer Krönungsfeier gab
König Johann unter anderen Geschenken dem Mainzer Erzbischofe
einen goldmen Sessel, mit Gemmen und Edelsteinen schön geziert. Er
befindet sich in der Mainzer Hauptkirche bis aus dm heutigen Tag
und wird bei hohen Feierlichkeitm mit den Religuien der Heiligen zur
Zierde des Gotteshauses auf dem Hauptaltare aufgestellt. Diesen
Seffel nennt das Volk „Martinssessel." So Trithemius.

Auch der Mainzer Chronist Latomus, gestorben 1598, kannte dm
Stuhl als noch vorhanden.

Eine nicht gedruckte Handschrift cks eimsliis usckis mstropoli-
tanus, deren Lsrui-io-ckounnÄ I., 638, Erwähnung thut, beschreibt
den Sessel: „Peter regierte ehrenvoll die Kirche und schmückte sie mit
vielsachem und kostbarem Schatze, nämlich mit dem Bischofsstuhle (8s1Iu
6pi800pu1i8), mit Gold und Edelsteinm geziert, mit Krystallknöpfen
ausgestattet (sr^8tallini8 oaxitibuo uäornuta), welchen er von König
Johann zum Geschenke erhalten."

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