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Kirchner, Thomas
L' expression des passions: Ausdruck als Darstellungsproblem in der französischen Kunst und Kunsttheorie des 17. und 18. Jahrhunderts — Mainz: von Zabern, 1991

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https://doi.org/10.11588/diglit.72614#0075

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Von den dargestellten zu den empfundenen Leidenschaften

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sind134. Das Publikum setzte sich im 17.Jahrhundert aus Mitgliedern des Hofes und
aus einem Teil des reichen, nicht mehr im Erwerbsleben stehenden, städtischen Bür-
gertums zusammen; das ideologische Ideal war der des Müßigganges fähige gentil
homme. So richtete sich die Kunst dieser Zeit an eine Elite.Nur Mitglieder dieser Elite
besaßen Müßiggang und Mittel genug, um sich zu »gens d'esprit, connoissans,et rai-
sonnables« (geistvollen, kenntnisreichen und vernunftbegabten Menschen)135 aus-
zubilden, das heißt um sich die raison und das Wissen anzueignen, die zur Beurtei-
lung eines Kunstwerkes notwendig waren. So mußte der idealtypische Käufer nicht
nur das Geld haben, um ein Kunstwerk zu erwerben, sondern auch Mittel und Mög-
lichkeiten besitzen, um sich das Wissen und die Bildung anzueignen, die zu dessen
Rezeption erforderlich waren.
Hingegen besitzt grundsätzlich jeder Mensch sentiment:
». . . tous les hommes peuvent juger des vers et des tableaux, parce que tous les hommes
sont sensibles, et que l'effet des vers et des tableaux tombe sous le sentiment.« (Du Bos)
(. . . alle Menschen können über Verse und Gemälde urteilen, da sie sensibel sind und
die Wirkung der Verse und Gemälde dem Gefühl unterliegt.)136
An anderer Stelle präzisierte Du Bos seinen Begriffvom Publikum (und relativierte
damit obige Aussage):
»... je ne comprens point le bas peuple dans le public capable de prononcer sur les poë-
mes ou sur les tableaux, comme de décider à quel dégré ils sont excellens. Le mot de
public ne renferme ici que les personnes qui ont acquis des lumieres, soit par la lecture,
soit par le commerce du monde ... Le public dont il s'agit ici est donc borné aux
personnes qui lisent, qui connoissent les spectacles, qui voient et qui entendent parler
de tableaux, ou qui ont acquis de quelque maniere que ce soit, ce discernement qu'on
appelle goût de comparaison . . .«
(. . . ich zähle nicht das niedrige Volk zu dem Publikum, das in der Lage ist, sich über
Gedichte und Gemälde zu äußern sowie zu entscheiden, in welchem Maße sie hervor-
stechen. Das Wort Publikum schließt hier nur die Personen ein, die Einsichten erwor-
ben haben, sei es durch die Lektüre, sei es durch den gesellschaftlichen Umgang... Das
Publikum, um das es sich hier handelt, beschränkt sich also auf die Personen, die lesen,
die das Theater kennen, die Gemälden sehen und von ihnen' reden hören oder die, auf
welche Weise auch immer, dieses Unterscheidungsvermögen erworben haben, das man
goût de comparaison nennt...)137
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134 Erich Auerbach untersucht in seiner Studie La Cour et la Ville, in : ders., Vier Untersuchungen zur
Geschichte der französischen Bildung, Bern 1951, S. 12-50, die Zusammensetzung des Publi-
kums im 17.Jahrhundert. Seine Überlegungen sind zwar an einem literarischen Publikum ent-
wickelt, lassen sich jedoch auf die Bildenden Kunst übertragen.

135 So umriß Jules de La Mesnardière, La poëtique, Paris 1640 (Repr. Genf 1972), S. 325, die Ziel-
gruppe der Kunst. Vgl. hierzu Bray, op. cit. (Anm. 46), S. 132.

136 Du Bos, op.cit. (Anm. 118), Bd. 2, Section 24, S. 360.

137 Ebd., Section 22, S. 334 1 . Du Bos begründete diese Einschränkung damit, daß zum einen die
 
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