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Kritische Berichte zur kunstgeschichtlichen Literatur — 1-2.1927-1929

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Landsberger, Franz: Das Generationsproblem in der Kunstgeschichte
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https://doi.org/10.11588/diglit.71659#0043

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DAS GENERATIONSPROBLEM IN DERKUNSTGESCHICHTE
Daß niemals alle zur gleichen Zeit entstandenen Kunstwerke auch den gleichen
Stilcharakter tragen, schon allein darum, weil neben den vorwärts drängenden
Jungen die am Vergangenen haftenden Alten zu schaffen nicht aufhörten, war ja
wohl allgemein bekannt, wenn auch nicht immer genügend bedacht. Für die
neueren Zeiten, in denen uns Künstlernamen und Lebensdaten reichlich zur Ver-
fügung stehen, etwa für das beginnende Cinquecento, wußte man wohl, daß man
bei seiner Analyse nicht gerade mit Lorenzo di Credi (1459-1537) oder mit
Vittore Carpaccio (erwähnt seit 1472, gest. vor 1526) operieren dürfte, sondern
mit einem Fra Bartolomeo, Michelangelo, Raffael, also mit Künstlern, die sich
damals gerade entfalteten. Für ältere, namen- und datenärmere, Zeiten hingegen
wurde diese stillschweigende Voraussetzung leicht vergessen, und mancher
glaubte ernstlich, wenn er z. B. den Stil um 1350 bestimmte, daß alle in diesen
Jahren geschaffenen Werke nun auch wirklich dieser Bestimmung folgten, oder daß
alle in diesem Stil gehaltenen Werke nun auch wirklich um 1350 entstanden seien.
Da ist es nun zunächst das Verdienst des letzten Buches von Wilhelm Pinder1),
unsere Blicke von dem nebulosen Gedanken eines einheitlichen Zeitgeistes fort
zu der konkreteren, lebendiger faßbaren Wollens-Einheit bestimmter Alters-
schichten gelenkt zu haben. Der Zeit gesteht Pinder nur eine leichte einheitliche
Färbung, bestenfalls einen Gleichklang der Mittel zu. Für eine wesentliche Stil-
bestimmung aber kämen weit stärker die Geburtszahlen der Künstler in Frage. Es
sind die Generationen, die mit einheitlich gestellten Problemen den Wandel der Stile
heraufführten. Dabei beobachte man, daß diese Probleme sich jedesmal von denen
der vorangegangenen Generation kontrastreich abhöben, während die dritte
Generation aus erneuter Gegensätzlichkeit sich wieder der ersten nähere. So gebe
es, statt des früher so gern für die Kunstgeschichte angenommenen Fortschreitens
in einer Richtung, einen in verhältnismäßig raschem Tempo wechselnden Rhyth-
mus, und zwar alterniere stets eine Richtung, welche die Form als Hingabe an die
Erscheinungswelt ansehe, mit einer solchen, welche sie als Auferlegung gewisser
formender Prinzipien über die Natur betrachte.
Und weiter behauptet Pinder: die Geburtszahlen der Künstler verteilten sich
nicht gleichmäßig über alle Jahre, sondern teils rückten sie eng aneinander - so
daß sie Pinder als „Würfe der Natur" anspricht -, teils ließen sie zwischen sich
mehr oder weniger leere Intervalle entstehen. Und dann: wenn diese in gewisser
Dichte auftretenden Geburtsgenossen unter einer einheitlichen Zielsetzung
ständen, so seien daran wohl gewisse Beziehungen zur Umwelt beteiligt, aber doch
nur sekundär und nachträglich. Primär sei eine eben durch das,,Geburtenschicksal"
bedingte Einstellung, die vor allen Erfahrungen läge und sich an ihnen zwar ent-
falte, nicht aber von ihnen bestimmt werde. Sie sei überhaupt nicht erklärbar,
sondern als biologische Tatsache einfach hinzunehmen. Wie man sieht, derselbe
, Wilh. Pinder: Das Problem der Generation in der Kunstgeschichte Europas. Berlin 1926.
Eine vorbereitende Studie erschien in der Festschrift für Joh. Volkelt, Leipzig 1926.

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