ihrer Lebensfülle erhalten bleibe, d. h. daß sie, jedem Zwange fern, die Flüssigkeit
des tatsächlichen Lebens behalte und daß sie, wie alles von Menschen ausgehende
Geschehen, sich der wenigstens annäherungsweise möglichen psychologischen
Erklärung seiner Motive nicht ganz entziehe.
Breslau, Mai 1927 Fran^ Landsberger
M. J. FRIEDLÄNDER, Dierick Bouts- Joos van Gent. P. Cassirer, Berlin 1925.
Um Mißverständnissen vorzubeugen, wird es gut sein, in einer kurzen Vor-
bemerkung die Tendenz dieser Kritik zu betonen. Im Laufe ihrer Entwicklung
hat die Kunstgeschichte Praktiken, die aus dem Bedürfnis des Sammlerwesens
entstanden sind, sich aneignen müssen und es erwuchs der Wissenschaft daraus
die Aufgabe, die kritischen historischen Grundsätze auf dieses neue Gebiet an-
zuwenden. War es bisher das einzige Kriterium der Bestimmungsarbeit, ob sich
das Kennerurtei] in der Folgezeit bewährte, so soll jetzt die Stilkritik uns die
Mittel zu einer unmittelbaren Überprüfung in die Hand geben. Als einer der hervor-
ragendsten Vertreter des Forschertypus dieser Übergangszeit vom rein empirischen
Kennertum zu einer methodisch strenger fundierten und begrifflich gefestig-
teren Wissenschaft kann Friedländer gelten. Als dieser in letzter Zeit nun daran
ging, seine Erfahrungen und Beobachtungen auf dem Gebiet der altniederlän-
dischen Malerei endgültig in einem Werk zusammenzufassen, da waren die Erwar-
tungen entsprechend hoch gespannt, mochte man sich auch kaum methodisch
Neues davon versprechen. Indessen kam ein Angriff gegen jei/e Methode, ja sogar
gegen jeden Versuch, Entwicklungsgeschichte zu treiben. Die Intuition des Ken-
ners wird zum alleinigen Schiedsrichter unserer Disziplin erhoben. Gegen diese
im Grunde wissenschaftsfeindliche Haltung muß auf das entschiedenste Stellung
genommen werden, zumal der Angriff durch die Autorität des allseits anerkannten
Kenners vermehrtes Gewicht erhält. Wir wollen prüfen, ob seine die Einzelunter-
suchungen zusammenfassende und abschließende Geschichte der altniederlän-
dischen Malerei 9, auch nur der Materialzusammenstellung und Chronologie
nach, sein Vorgehen rechtfertigt.
F. glaubt, sein Arbeitsverfahren sei frei von jeder „den einfachen Tatsachen-
bestand einer fixen Idee zuliebe fälschenden" Methode. Er vergißt, daß auch die
gefühlsmäßig und empirisch gewonnenen Feststellungen erst wissenschaftlichen
Wert erlangen, wenn sie sich einer begrifflichen Begründung fügen. Denn einer-
seits würde die Kunstgeschichte als Inbegriff derartiger Feststellungen noch nicht
den Anspruch erheben dürfen, als Wissenschaft zu gelten, dazu würde es ihr an
einem sinnvollen Zusammenhang fehlen; gesetzt nämlich, es enthielten solche
Feststellungen Wahrheiten, so würde das immer noch nicht zu einer Erkenntnis
, Es wird hier nur der dritte Band seiner Geschichte der altniederländischen Malerei bespro-
chen, da diese Rezension fertiggestellt war, bevor der IV. Band (Goes) erschien.
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des tatsächlichen Lebens behalte und daß sie, wie alles von Menschen ausgehende
Geschehen, sich der wenigstens annäherungsweise möglichen psychologischen
Erklärung seiner Motive nicht ganz entziehe.
Breslau, Mai 1927 Fran^ Landsberger
M. J. FRIEDLÄNDER, Dierick Bouts- Joos van Gent. P. Cassirer, Berlin 1925.
Um Mißverständnissen vorzubeugen, wird es gut sein, in einer kurzen Vor-
bemerkung die Tendenz dieser Kritik zu betonen. Im Laufe ihrer Entwicklung
hat die Kunstgeschichte Praktiken, die aus dem Bedürfnis des Sammlerwesens
entstanden sind, sich aneignen müssen und es erwuchs der Wissenschaft daraus
die Aufgabe, die kritischen historischen Grundsätze auf dieses neue Gebiet an-
zuwenden. War es bisher das einzige Kriterium der Bestimmungsarbeit, ob sich
das Kennerurtei] in der Folgezeit bewährte, so soll jetzt die Stilkritik uns die
Mittel zu einer unmittelbaren Überprüfung in die Hand geben. Als einer der hervor-
ragendsten Vertreter des Forschertypus dieser Übergangszeit vom rein empirischen
Kennertum zu einer methodisch strenger fundierten und begrifflich gefestig-
teren Wissenschaft kann Friedländer gelten. Als dieser in letzter Zeit nun daran
ging, seine Erfahrungen und Beobachtungen auf dem Gebiet der altniederlän-
dischen Malerei endgültig in einem Werk zusammenzufassen, da waren die Erwar-
tungen entsprechend hoch gespannt, mochte man sich auch kaum methodisch
Neues davon versprechen. Indessen kam ein Angriff gegen jei/e Methode, ja sogar
gegen jeden Versuch, Entwicklungsgeschichte zu treiben. Die Intuition des Ken-
ners wird zum alleinigen Schiedsrichter unserer Disziplin erhoben. Gegen diese
im Grunde wissenschaftsfeindliche Haltung muß auf das entschiedenste Stellung
genommen werden, zumal der Angriff durch die Autorität des allseits anerkannten
Kenners vermehrtes Gewicht erhält. Wir wollen prüfen, ob seine die Einzelunter-
suchungen zusammenfassende und abschließende Geschichte der altniederlän-
dischen Malerei 9, auch nur der Materialzusammenstellung und Chronologie
nach, sein Vorgehen rechtfertigt.
F. glaubt, sein Arbeitsverfahren sei frei von jeder „den einfachen Tatsachen-
bestand einer fixen Idee zuliebe fälschenden" Methode. Er vergißt, daß auch die
gefühlsmäßig und empirisch gewonnenen Feststellungen erst wissenschaftlichen
Wert erlangen, wenn sie sich einer begrifflichen Begründung fügen. Denn einer-
seits würde die Kunstgeschichte als Inbegriff derartiger Feststellungen noch nicht
den Anspruch erheben dürfen, als Wissenschaft zu gelten, dazu würde es ihr an
einem sinnvollen Zusammenhang fehlen; gesetzt nämlich, es enthielten solche
Feststellungen Wahrheiten, so würde das immer noch nicht zu einer Erkenntnis
, Es wird hier nur der dritte Band seiner Geschichte der altniederländischen Malerei bespro-
chen, da diese Rezension fertiggestellt war, bevor der IV. Band (Goes) erschien.
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