ILLA BUDDE, Die Idylle im holländischen Barock. J. P. Bachem, Köln
1929-
Das Thema dieser Arbeit ist in hohem Grade lockend und fesselnd. Ihm wird
die Ausführung nirgends ganz gerecht, sie verrät weder im Stofflichen1) noch
im Methodischen die nötige Beherrschung. Hinter den folgenden Betrachtungen,
die mehr an das Thema als an die Ausführung anknüpfen, steht die Hoffnung,
für eine zukünftige umfassendere Bearbeitung ein paar Richtlinien andeuten
und ein paar Bausteine beitragen zu können.
Was unter Idylle verstanden werden soll, definiert uns die Verfasserin nicht,
und es ergibt sich, daß sie sich nicht ganz klar darüber ist. Die Definition ist
freilich nicht leicht zu geben, zumal wenn man einen gemeinsamen Nenner für
die dichterische und die gemalte Idylle finden soll. Vielleicht darf man das Fol-
gende zu formulieren wagen.
Allen literarischen Idyllen gemeinsam ist das bewußte Sichhinwenden des Autors
zu Natur und Naturzustand als neuer Quelle des Friedens und des inneren Gleich-
gewichts, als seelischem Jungbrunnen nach schmerzlicher Welterfahrung. Diese
Wendung geschieht durch Identifizierung des Dichters mit dem Naturmenschen,
den er zum „Thema" nimmt. Dabei aber lassen sich nun - theoretisch - zwei
Wege scheiden: Entweder es bleibt das Unerlöste im wahren Leben des Dichters
versteckt hinter der Maske reinen, ungetrübten Naturmenschentums, oder aber
es wird nun selbst dieses in Tragik verwickelt, auf eine Stufe gehoben, auf der es
sein Paradies, mindestens zeitweise, verloren hat. Die erste Form ist die gleich-
sam normale, gangbare, die zweite diejenige der höchststehenden Schöpfungen
der dichterischen Idylle der fraglichen Zeitspanne: Tassos Aminta, Guarinis
Pastor fido, Hoofts Granida. In ihnen herrscht sittliche Tragik, die Personen der
Handlung sehnen sich wie der Dichter selbst zurück nach der verlorenen Goldenen
Zeit: Sie sind selbst verstoßen, nur noch äußerlich des Schäferparadieses teil-
haftig — und darum sind sie echtere Geschöpfe des Dichters als jene scheinbar
naiven. Das Goldene Zeitalter wird ja von Tassos Menschen wie von dem Dichter
selbst sehnsuchtsvoll zitiert (sehr irreführend die Formulierung der Vf. S. 15);
ja bei Guarini wird bekanntlich (Goethes Prinzessin nimmt es von ihm auf)
selbst die Sehnsucht Tassos nach dem „S'ei piace, ei lice" in die Sehnsucht nach
dem „piaccia, se lice" umgedeutet; bei beiden spürt man den Zug zu einer pessi-
mistischen - nicht eigentlich barocken, sondern „manieristischen" - Moralisierung
des Antikischen.
Der „Durchschnitt" aber bleibt doch am tändelnd-heiteren Schäferspiel haften,
und dies ist hier von Wichtigkeit; vor allem auch deswegen wichtig, weil jene
, Im literarhistorischen Teil häufen sich leider die falschen Übersetzungen (S. 18, 19, 20,
23); dazu stören Flüchtigkeiten (vgl. S. 23 u. 49) und Druckfehler in den Texten. Im kunst-
historischen Teil ist vielfach zu geringe Vertrautheit mit Malerwerken und neuerer Literatur
festzustellen, abgesehen von einer Reihe ganz grober Versehen (S. 71: der Haarlemer Lastman;
S. 64 werden gar Giorgione und Tizian zu Schülern von Jacopo Bassano gemacht, und es ist
kein Druckfehler, denn Paolo Veronese ist „ebenfalls Schüler von Jacopo Bassano"!).
181
1929-
Das Thema dieser Arbeit ist in hohem Grade lockend und fesselnd. Ihm wird
die Ausführung nirgends ganz gerecht, sie verrät weder im Stofflichen1) noch
im Methodischen die nötige Beherrschung. Hinter den folgenden Betrachtungen,
die mehr an das Thema als an die Ausführung anknüpfen, steht die Hoffnung,
für eine zukünftige umfassendere Bearbeitung ein paar Richtlinien andeuten
und ein paar Bausteine beitragen zu können.
Was unter Idylle verstanden werden soll, definiert uns die Verfasserin nicht,
und es ergibt sich, daß sie sich nicht ganz klar darüber ist. Die Definition ist
freilich nicht leicht zu geben, zumal wenn man einen gemeinsamen Nenner für
die dichterische und die gemalte Idylle finden soll. Vielleicht darf man das Fol-
gende zu formulieren wagen.
Allen literarischen Idyllen gemeinsam ist das bewußte Sichhinwenden des Autors
zu Natur und Naturzustand als neuer Quelle des Friedens und des inneren Gleich-
gewichts, als seelischem Jungbrunnen nach schmerzlicher Welterfahrung. Diese
Wendung geschieht durch Identifizierung des Dichters mit dem Naturmenschen,
den er zum „Thema" nimmt. Dabei aber lassen sich nun - theoretisch - zwei
Wege scheiden: Entweder es bleibt das Unerlöste im wahren Leben des Dichters
versteckt hinter der Maske reinen, ungetrübten Naturmenschentums, oder aber
es wird nun selbst dieses in Tragik verwickelt, auf eine Stufe gehoben, auf der es
sein Paradies, mindestens zeitweise, verloren hat. Die erste Form ist die gleich-
sam normale, gangbare, die zweite diejenige der höchststehenden Schöpfungen
der dichterischen Idylle der fraglichen Zeitspanne: Tassos Aminta, Guarinis
Pastor fido, Hoofts Granida. In ihnen herrscht sittliche Tragik, die Personen der
Handlung sehnen sich wie der Dichter selbst zurück nach der verlorenen Goldenen
Zeit: Sie sind selbst verstoßen, nur noch äußerlich des Schäferparadieses teil-
haftig — und darum sind sie echtere Geschöpfe des Dichters als jene scheinbar
naiven. Das Goldene Zeitalter wird ja von Tassos Menschen wie von dem Dichter
selbst sehnsuchtsvoll zitiert (sehr irreführend die Formulierung der Vf. S. 15);
ja bei Guarini wird bekanntlich (Goethes Prinzessin nimmt es von ihm auf)
selbst die Sehnsucht Tassos nach dem „S'ei piace, ei lice" in die Sehnsucht nach
dem „piaccia, se lice" umgedeutet; bei beiden spürt man den Zug zu einer pessi-
mistischen - nicht eigentlich barocken, sondern „manieristischen" - Moralisierung
des Antikischen.
Der „Durchschnitt" aber bleibt doch am tändelnd-heiteren Schäferspiel haften,
und dies ist hier von Wichtigkeit; vor allem auch deswegen wichtig, weil jene
, Im literarhistorischen Teil häufen sich leider die falschen Übersetzungen (S. 18, 19, 20,
23); dazu stören Flüchtigkeiten (vgl. S. 23 u. 49) und Druckfehler in den Texten. Im kunst-
historischen Teil ist vielfach zu geringe Vertrautheit mit Malerwerken und neuerer Literatur
festzustellen, abgesehen von einer Reihe ganz grober Versehen (S. 71: der Haarlemer Lastman;
S. 64 werden gar Giorgione und Tizian zu Schülern von Jacopo Bassano gemacht, und es ist
kein Druckfehler, denn Paolo Veronese ist „ebenfalls Schüler von Jacopo Bassano"!).
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