Die größte Überraschung liegt darin, daß der Überblick, den Geisberg über
die erste Hälfte herausgebracht hat, nur einen Unbekannten aufweist. Bis auf
eine Ausnahme ist alles auf Künstlernamen oder Monogrammisten verteilt. Ein
glänzendes Zeugnis für die Holzschnittforschung, wenn es zu Recht bestünde.
Allein, wer weiß, wie rasch die Holzschnitte ihren Autor wechseln, wie willig
Geisberg die Forschungen anderer, insbesondere Röttingers übernimmt, der wird
sich dabei nicht beruhigen können. Stellt man die Einzelkataloge zusammen, so
ist man erstaunt, welches Bild sich ergibt. Es wäre leicht möglich, die Uneinheit-
lichkeit dieser Verzeichnisse durch Gegenüberstellung von schlagenden Gegen-
beispielen ad oculos zu demonstrieren. Ich verzichte aber auf diesen Weg als
einen schon gar zu billigen und doch nicht jedermann überzeugenden. Ich weise
aber darauf hin, daß z. B. im Falle des Hans Weiditz, dieser unmöglichen, aber
merkwürdig langlebigen Konstruktion, sich nicht weniger als vier oder fünf
Gruppen bilden lassen, ohne nur ein Blatt des Petrarkameisters dazu zu nehmen!
Worauf ich ausgehe, ist etwas anderes.
Die bisherige Methode ist erschüttert, wenn sich zwischen den Katalogen
verschiedener Meister Verbindungen herstellen lassen, die etwas Einleuchten-
deres haben als die innerhalb der einzelnen Oeuvres. Dieser Fall ist tatsächlich
eingetreten. Wer die hier zum Abdruck gelangten Vergleichspaare betrachtet,
wird zu seinem Erstaunen unter den sehr verwandt erscheinenden Blättern
ganz verschiedene Namen finden. Nicht darauf kommt es mir an, festzustellen,
von wem diese Holzschnitte stammen - es wird noch manche Arbeit kosten,
bis man hierüber Sicheres wird aussagen können - sondern allein darauf, auf
dem Wege der unmittelbaren Evidenz zu zeigen, daß die Benennungen un-
möglich beide Male richtig sein können. Daraus folgt aber, daß die Vorstellungen
von der Hand der Zeichner nicht weniger unbestimmt sind1).
Ich komme auf meinen Ausgangspunkt zurück: die Holzschnittforschung hat
sich in einer Überschätzung des Details und der Technik verloren, die ihr den
Blick für das Ganze nehmen mußte. Niemand wird den oft gerühmten Fleiß,
die Exaktheit und die Kenntnisse ihrer Vertreter in Zweifel ziehen und doch ist
eine kritische Überprüfung dringend erforderlich. Erst wenn die Grundvorstel-
lungen vom Wesen der künstlerischen Produktion und von der Holzschnitt-
technik im besonderen sich entscheidend geändert haben werden, wenn es nicht
mehr nötig sein wird, jede einzelne Position mit Hilfe von plumpen und im
Grunde nichtssagenden Beweisen zu nehmen, wird es möglich sein, fruchtbare
Arbeit im Gebiete der Anonymen der i. Hälfte des 16. Jahrhunderts zu leisten.
Einer solchen strengeren Wissenschaft den Boden zu bereiten, dazu mögen diese
Ausführungen dienen.
Stuttgart, Oktober 1928 Theodor Musper
9 Ich mußte mich aus äußeren Gründen auf die abgebildeten Vergleichspaare beschränken.
Wollte ich mich an empfindliche Augen wenden, so ließe sich ein umfangreiches Material
vorlegen. - Bemerkt sei ausdrücklich, daß keine der Bestimmungen, weder die der Wappen I, 39
und VI, 24 noch der Spielkarten XV, 27 u. 29, auf Röttinger zurückgeht.
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die erste Hälfte herausgebracht hat, nur einen Unbekannten aufweist. Bis auf
eine Ausnahme ist alles auf Künstlernamen oder Monogrammisten verteilt. Ein
glänzendes Zeugnis für die Holzschnittforschung, wenn es zu Recht bestünde.
Allein, wer weiß, wie rasch die Holzschnitte ihren Autor wechseln, wie willig
Geisberg die Forschungen anderer, insbesondere Röttingers übernimmt, der wird
sich dabei nicht beruhigen können. Stellt man die Einzelkataloge zusammen, so
ist man erstaunt, welches Bild sich ergibt. Es wäre leicht möglich, die Uneinheit-
lichkeit dieser Verzeichnisse durch Gegenüberstellung von schlagenden Gegen-
beispielen ad oculos zu demonstrieren. Ich verzichte aber auf diesen Weg als
einen schon gar zu billigen und doch nicht jedermann überzeugenden. Ich weise
aber darauf hin, daß z. B. im Falle des Hans Weiditz, dieser unmöglichen, aber
merkwürdig langlebigen Konstruktion, sich nicht weniger als vier oder fünf
Gruppen bilden lassen, ohne nur ein Blatt des Petrarkameisters dazu zu nehmen!
Worauf ich ausgehe, ist etwas anderes.
Die bisherige Methode ist erschüttert, wenn sich zwischen den Katalogen
verschiedener Meister Verbindungen herstellen lassen, die etwas Einleuchten-
deres haben als die innerhalb der einzelnen Oeuvres. Dieser Fall ist tatsächlich
eingetreten. Wer die hier zum Abdruck gelangten Vergleichspaare betrachtet,
wird zu seinem Erstaunen unter den sehr verwandt erscheinenden Blättern
ganz verschiedene Namen finden. Nicht darauf kommt es mir an, festzustellen,
von wem diese Holzschnitte stammen - es wird noch manche Arbeit kosten,
bis man hierüber Sicheres wird aussagen können - sondern allein darauf, auf
dem Wege der unmittelbaren Evidenz zu zeigen, daß die Benennungen un-
möglich beide Male richtig sein können. Daraus folgt aber, daß die Vorstellungen
von der Hand der Zeichner nicht weniger unbestimmt sind1).
Ich komme auf meinen Ausgangspunkt zurück: die Holzschnittforschung hat
sich in einer Überschätzung des Details und der Technik verloren, die ihr den
Blick für das Ganze nehmen mußte. Niemand wird den oft gerühmten Fleiß,
die Exaktheit und die Kenntnisse ihrer Vertreter in Zweifel ziehen und doch ist
eine kritische Überprüfung dringend erforderlich. Erst wenn die Grundvorstel-
lungen vom Wesen der künstlerischen Produktion und von der Holzschnitt-
technik im besonderen sich entscheidend geändert haben werden, wenn es nicht
mehr nötig sein wird, jede einzelne Position mit Hilfe von plumpen und im
Grunde nichtssagenden Beweisen zu nehmen, wird es möglich sein, fruchtbare
Arbeit im Gebiete der Anonymen der i. Hälfte des 16. Jahrhunderts zu leisten.
Einer solchen strengeren Wissenschaft den Boden zu bereiten, dazu mögen diese
Ausführungen dienen.
Stuttgart, Oktober 1928 Theodor Musper
9 Ich mußte mich aus äußeren Gründen auf die abgebildeten Vergleichspaare beschränken.
Wollte ich mich an empfindliche Augen wenden, so ließe sich ein umfangreiches Material
vorlegen. - Bemerkt sei ausdrücklich, daß keine der Bestimmungen, weder die der Wappen I, 39
und VI, 24 noch der Spielkarten XV, 27 u. 29, auf Röttinger zurückgeht.
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