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Künstlerselbsthilfe
Die Künstlerselbsthilfe: Zeitschrift für Kunst und Literatur: periodical — 1.1927

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Nr. 2
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Fingesten, Michel: Der Auftrag
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https://doi.org/10.11588/diglit.67650#0051

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DER AUFTRAG

VON
MICHEL FINGESTEN

A uf einem meiner Streifzüge durch dunkle
"L Vorortstraßen Berlins sehe ich vor mir ein

Hinter meinem Stuhl hat die gesamte Gesell-
schaft Posto gefaßt und begleitet meine Arbeit mit

geducktes Wesen: ein Bündel Elend

un- begeisterten Randbemerkungen: „Kiek mal,

wahrscheinlich verkommen, die Füße mit Lappen

Mensch — wie genau! Und wie det schnell geht!

umwunden, die Kleider mit Schnüren zusammen-

Det möchste woll ooch so könn.“

gehalten. Fuß vor Fuß set-

„Dir geb ick tausend Mark.


wenn Du det fertigkriegst!“
Da sagt eine Baßstimme
langsam und dumpf: „Jelernt
is jelernt!“
„Wat quatschste da von
jelernt“, antwortete ein an-
derer, „Det is Talent, Du
oller Dussel!!“
Als ich fertig bin und dem
Mann fünf Mark gebe, sagt
der Wirt nachdenklich: „So

möchte ick mir
och mal fotogra-
fieren lassen.“
„Setz Dir doch
hin, Mensch!“
schreit einer,
„Du mit Deine
roteNeese gibst
’n gutes Bild ab,
aber 'n großen
Schnaps mußte
in die Flosse
halten!" „Ja,“
sagt der Wirt,

zend — ganz langsam so da-
hinschleichend — das Gesicht
eingefallen, mit
grauen Bart-
stoppeln be-
deckt, die Au-
gen erloschen .
, . . , Donner-
wetter! Diesen
Kerl möchte ich
zeichnen! Ich
gehe auf ihn zu
und frage, ob
er etwas Zeit
hätte? — Lang-
sam schlürft er
weiter, ohne auf-
zublicken, Ich
überlege: man
muß da wirk-
samer werden:
ob er sich nicht
drei Mark ver- ’*!<**’
dienen möchte?
Er blickt müde

auf und nickt
kaum merkbar.

H. ZILLE

„HUNGER" (LITHO)

„5 Mark tät ick

berappen, wenn

Wir gehen in eine nahegelegene Bierwirtschaft;
ich bestelle Bier und etwas Essen, und sage dem
Wirt, ich käme bald wieder, ich müßte mir nur
Papier und Bleistift kaufen, da ich diesen Mann
zeichnen wolle.
Die Gäste, zumeist Chauffeure, lachen, auch
der Wirt findet es komisch, was ich an dem
Schwanken seines monumentalen Bauches und

mir der Kunstmalermeester abklatschen tut.“ —
„Bitte, nehmen Sie nur Platz — die 5 Mark be-
kommt mein Modell“, sage ich. „Gemacht!“ schreit
der Wirt und sitzt auch schon da. Er wird mit
einer Zigarre im Munde und einem Schnapsglas
in der Hand aufs Papier gebracht.
Ein Chauffeur bringt mir einen Rotstift und
stiftet noch 3 Mark für mein Protektionskind,

rosaroten Fettgenicks bemerke. Zurückgekommen,
hat der Mann gegessen und getrunken, ich rücke

wenn ich dem Wirt die Nase rot „anmale“ — was
unter großem Hallo geschieht (während der gute

ihn mir zurecht und beginne zu zeichnen.

Mann die 3 Mark mit stoischer Ruhe kassiert].

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