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Künstlerselbsthilfe
Die Künstlerselbsthilfe: Zeitschrift für Kunst und Literatur: Periodica — 1.1927

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Nr. 2
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Fingesten, Michel: Der Auftrag
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https://doi.org/10.11588/diglit.67650#0052

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Nun bekommen auch die Chauffeure Lust, so „ab-
gemalt“ zu werden — aber 5 Mark, das wäre doch
happig teuer, wo ich doch höchstens 10 Minuten
„an so‘n Ding rumfummele“. Nun hatte ich an der
Wand eine Tafel bemerkt: „Bürgerlicher Miltags-
tisch 60 Pfennig“. Ich machte also dem nächsten,
der den Wunsch äußerte, „mal seine Visage ooch
so uffs Papier zu sehen“, den Vorschlag, dem
armen Mann 5 Mittage zu bezahlen — macht
3 Mark — und das Geld dem Wirt einzuhändigen,
was sofort bewilligt wurde.
Genug — ich zeichnete noch an die 10 Mann und
hatte für mein Modell für ungefähr einen Monat
ausgesorgt. Die Leute, durch meinen Eifer ange-
feuert, stifteten auch noch einige Kleidungsstücke
und Wäsche. (Als ich neulich den Wirt anklingelte,

erzählte er mir, daß mein Modell eine Stellung als
Autowäscher bekommen hätte.) Der Arme selbst
blickte nur verwundert von einem zum andern, zu
zermürbt und elend vom Leben, um auch nur
„danke“ zu sagen.
Nach einigen Wochen besucht mich der gute
Mann — sieht schon ganz respektabel aus — be-
dankt sich auch so ein bißchen nach seinerWeise
, . . und er hätte einen Sohn in Amerika, und da
möchte er doch ein Bild seinem Jungen von sich
schicken, und na — 5 Mark, die täte er ja auch
bezahlen . , , überhaupt, wo‘s doch bei mir so
fix ginge , . .
So kam ich zu einem Auftrag, und das ist
eigentlich der Grund, daß ich diese kleine Ge-
schichte (als empfehlendes Beispiel) aufgeschrie-
ben habe.

MICHEL FINGESTEN „TRINKER“ (RADIERUNG)
(MIT GENEHMIGUNG DES GERMINA-VERLAGES, LEIPZIG-STÖTTERITZ)


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