Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 58.1907-1908

DOI Artikel:
Gmelin, Ludwig: Beschauliches und Unerbauliches aus Architektur und Kunstgewerbe
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.9043#0036

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Richard Berndl's Neubau des Hotels „Union" in München.

wir annehmen, daß er das Wort „Aunstform" im
umfassendsten Sinne versteht. Denn die Kunst fängt
bei einem Bauwerk nicht erst bei den Detailformen
an, sondern schon bei Bestimmung der Größen-
verhältnisse des Ganzen, bei der Anordnung der
Räume, bei Verteilung der Öffnungen, bei der
Gruppierung des Daches. Gin an einer Berglehne
stehendes Schloß braucht nicht
die geringste sogenannte Aunst-
form — im Sinne von
Schmuckform — zu zeigen
und kann doch durch die
weise Verteilung der Bau-
massen und geschickte Gin-
passung in die Landschaft ein
Aunstwerk sein. Die mit
Hilfe der Mathematik er-
rechneten Werke sind noch
nicht Aunst; in ihnen keimt
die Aunst erst in dem Augen-
blick, da zur reinen Verstandes-
tätigkeit die Gmpfindung tritt,
die ihrerseits aus Verstandes -
erfassung hervorgegangen sein
kann, aber — ihrer Herkunft
unbewußt ■—• den schöpfe-
rischen Willen beeinflußt.

Zm zweiten Teile seiner
Ausführungen wendet sich
Schick der Betrachtung ein-
zelner besonderer Beispiele zu,
die er zunächst der letztjäh-
rigen Dresdener Ausstellung
entnimmt; wer diese gesehen
hat und den in dieser Zeit-
schrift niedergelegten Anschau-
ungen nahestehk, der wird
nicht ohne Genugtuung die
betreffenden Abschnitte lesen.

Schick nennt zwar keine Na-
men, aber Gingeweihte wissen
recht wohl, wer gemeint ist;
ebenso kann man vermuten,
wohin sich seine Bemerkungen
betreffs der Meisterkurse richten, denen er sehr skep-
tisch gegenüber steht: „Hat man doch in einer ge-
wissen Zeitschrift lesen können, wie Aünstler, die sich
solcher Stilwidrigkeiten und Unsachlichkeiten immer
wieder schuldig machen, mit Vorliebe zu Meister-
kursen herangezogen werden, wobei von ihnen noch
besonders gerühmt wird, daß sie aus bisher ver-
ständnislosen in der kurzen Zeit von wenigen Wochen
stil- und sachverständige Aunsthandwerker gemacht

hätten! Fühlen denn die betreffenden Artikelschreiber
nicht, daß sie mit solchen Machenschaften, deren
Gründe meist sehr durchsichtig sind, ihre Helden in
den Augen jedes Verständigen zu Gharlatanen er-
niedrigen ?"

Sehr treffend sind Schicks Bemerkungen über
die Schrift; sie, die doch einen „rein praktischen
Zweck zu erfüllen" hat, soll
gemäß „den neuesten Refor-
matoren" „nach den Gesetzen
des Mrnaments komponiert
sein" und „wie ein Orna-
ment wirken". Das mag
für Ginzelfälle zutreffen; all-
gemein angewandt, führt dies
zur Unleserlichkeit. Darum
hat Schick, der sich wie jeder
andere „an einer deutlichen
und zugleich schönen Schrift
mehr erfreut als an einer
nur deutlichen", vollkommen
recht, wenn er da hinzufügt:
„Wir kommen aber nicht um
die Tatsache herum, daß nun
einmal die Schrift kein
Ornament ist."

Was Schick weiterhin über
Buchschmuck, Aunstgewerbe-
schulen, Ornament, Orna-
mentstudium, Schmucksachen,
Zeitschriften usw. sagt, ent-
hält zwar gewisse Ginseitig-
keiten, aber im ganzen so
viel Beachtenswertes, daß
keiner sich ohne Nutzen mit
dem Zuhalt des Heftes be-
kannt machen wird. Und
ohne Schmunzeln wird nie-
mand die Zitate lesen, in
denen ein Uberästhete mit H>o-
sauuenworten die Werke eines
Uberkünstlers preist (S. 23 der
Schrift Schicks); sie muten den
harmlosen Leser an wie Zitate
aus einer Aünstler-Aarnevalszeitung.

Und Schick hat recht, wenn er solchem Treiben
gegenüber sagt: „Gs gehört heute schon ein gewisser
Mut dazu, eine von der üblichen abweichende Mei-
nung auszusprechen. Man setzt sich dem Verdacht
aus, ein Reaktionär zu sein, wenn man sich nicht
mit Leib und Seele solchen neuen Götzen verschreibt
und sich erlaubt, nicht alles an ihnen schön und gut
zu finden."


32. Lüster im 5aalMestibül.
Ausführung von Lorenz kfoffmann,
München. C/12’ d. wirkt. Größe.)

22
 
Annotationen