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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 61.1910-1911

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Dom Büchermarkt.

236. Reklamebild; von Paul Stollreither, München.

Vortrage aussprach, bedeutsam; er sagte unter an-
derem: „Es sind von kunstliebender Seite große
Hoffnungen, einen Stil zu gewinnen, an die eigen-
willige individualistische Entwicklung des Kunst-
gewerbes, die sich seit Ende der neunziger Jahre
in Deutschland vollzogen hat, geknüpft worden, und
wenn auch das Talent, das hinter diesen verschie-
denartigsten Kunstäußerungen stand, keineswegs ver-
kannt werden soll, so ist aber darauf daitn zu sagen:
es kann keinen individualistischen Stil geben. Nicht
eine persönliche und individuelle Geschniacksneigung
schafft die umfassende Einheit der formen, die in
der Geschichte als prägnante Merkmale aller Zeiten
bestehen, sondern sie gehen aus dem großen Be-
dingungskomplex unserer Zeit hervor."

Unser Streben geht nun freilich im ganzen
nach einer „Ausdruckskultur", wie es Avenarius
nennt; trotzdem sehen wir aber die Künstler aus
ihrer individualistischen Anschauungsweise beharren,
jeder strebt nach etwas „anderen:". Die einzelnen
Künstler befinden sich immer noch aus dem Wege
des Experiments, bei dem bald die Konstruktion,
bald das Material, bald die Technik sich als die
treibende Kraft bei der Entstehung neuer Form-
gebilde erweist. Der moderne „intellektuelle Künstler"
„denkt", er ist erfüllt „von der strengen Logik" und
der „Gesetzmäßigkeit des Kunstschaffens". Das naive
Kunstschaffen tritt hinter dem bewußten zurück.

Der Tektone entwickelt wie Van de Velde die
Form von einem Formkeim aus, wie aus einer ge-
schloffenen Knospe und gestaltet sie allmählich ins

Raumhafte — ihr Wachstum steht (wie es im Vor-
wort zu dem Werke Albin Müllers heißt) unter der
Kontrolle scharfen Denkens. 5o entstehen Probleme
der Raumkunst, bei deren Betrachtung eben das
Problem zum Nachdenken auffordert, und wieder ist
es die Erkenntnisarbeit, die an Stelle des künstleri-
schen Genusses tritt. Ein Vertreter dieser intellek-
tualistischen Richtung in der Raumkunst ist Albin
Müller. Und zwar nähert er sich in der Art seines
künstlerischen Denkens Van de Velde. Wie diesem
ist auch ihm das architektonische Problem haupt-
sächlich Entwicklung eines Formembryos zum körper-
haften Raumgebilde. Natürlich kommt es bei solchem
Streben nicht immer zu befriedigenden Lösungen, und
das Keimhafte haftet auch noch der neuen Form wie
die Schale des Eies dem Küchlein an. Das bloße
Bewußtsein allein schafft eben doch noch keine
„schöne Form".

Wo aber in einem Künstler wie Albin Müller
ein solches stark ausgebildetes organisches Zweck-
bewußtsein lebendig ist, äußert sich dieses sehr stark
in: kunstgewerblichen Schaffen. Zn der Aufteilung
der Wände von Znnenräumen, in der Struktur der
Möbel, in kunstgewerblichen Zweckgegenständen:
Kandelaber, Beleuchtungskörper, offenbart sich ein
sehr starkes architektonisches Empfinden und in der
Erfindung der (Ornamentik zu Wandmalereien, Mo-
saik, Deckenschmuck, Stoffmuster u. dgl. ein ausge-
sprochener feingebildeter Geschmack.

Es zeigt sich also auch in seinem Schaffen jener
merkwürdige Dualismus, der durch das gesamte

— (U —
 
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