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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 61.1910-1911

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Steinlein, Stephan: Schreibgerät und Schriftcharakter
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Kleine Nachrichten
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https://doi.org/10.11588/diglit.7091#0255

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Sdjrcibijcrät und §chriftcharaktcr.

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^uüoul aunmmmmu

460. Liner Schriftprobe aus dem \5. Iahrh. nachgeschrieben
mit Feder Ly3‘/2 und 5 (f. Abb. 422).

In dieser Probe einer Nachschrift wurde in der oberen Zeile
laudaverit piter durch schematische Angabe die Art des Schreibens
dieser Schrift zu zeigen versucht (die lsaarstriche sollen nur die
Gestalt der einzelnen Buchstaben ergänzen und nicht etwa als
später auszufüllende Vorzeichnung aufgefaßt werden). Die
senkrechten Teilstriche der einzelnen Buchstaben werden mit
leisem Druck von oben »ach nuten verdickt geführt, wie bei den
zweiten und dritten Buchstaben a und u zu sehen ist, und dann
erst mit leicht gedrehter Feder die oberen queren Formen wie
bei dem fünften und sechsten Buchstaben a und v ersichtlich am
gefügt. In gleicher weise sind auch die Schriften der Abb. 425,
425 u. 426 geschrieben. Die eigentümliche Weichheit dieses Duktus
unterscheidet ihn deutlich im Charakter von rein bandartiger
Schrift, die sich in einem Zuge zusammenhängend von oben
her mit dem ÜZuer-Ansatz beginnend sofort ohne Unterbrechung
zur senkrechten mit gleicher Stärke wendet, wie in deni Krott-
rohr, Kcleini und Schreibspatelproben der Abb. 450—454.

man^melnv^schar

4SI. Liner Schriftprobe aus dem 14. Iahrh. »achgeschrieben
mit Feder To SS (f. Abb. 423).

Der fttmm tmvte'm chmr
' tik nllfie g^nennct fiht-

462. Liner Schriftprobe aus den, 44. Iahrh. »achgeschrieben
mit Feder To 65‘/s (f- Abb. 424).

cuinees:

463- Liner Schriftprobe von (688 nachgeschrieben mit Feder
To 66 (s. Abb. 429).

464. Liner Schriftprobe aus dem *4. Iahrh. uachgeschriebeu
mit Feder Ly 5 */2 (s. Abb. 425).

IHe schnurartigen gleichstarken Züge ergibt die
walzenförmige stumpfe Endung der Spitze des
QuelLLyd (Abb. ^37). Bandartige Züge, je nach
runder oder gebrochener Führung des Schreibmittels,

enceste unite, lonc/ues etheareuses
Le 24 cleJuhv 1(58 8.

lassen sich mit dem Spatel, der Rohr- und der
Aelemirohrfeder, die ganz vorzüglich gearbeitet ist,
erzielen (Abb. ^50—0^).'

Es ist wiederholt beklagt worden, daß unsere
modernen Schreibkunstversuche sich über die Art der
einfachen Formgebungen, wie sie sich durch die An-
wendung der primitivere Schreibwerkzeuge ergeben,
nicht hinauswagen. Doch dürfte dies wohl nur eine
Frage der Zeit sein und Heranwachsende allgemeinere
Schätzung der Freude an frischem Rönnen dürfte,
ähnlich wie in England, auch bei uns sich einstellen.
Zn den Abb. ^55—^6^ versuchte ich aus den im
Text gegebenen Proben verschiedenster Jahrhunderte
einzelne Zeilen mit Ly- und lo-Federn nachzuschreiben.
Dabei zeigte sich die vorzügliche Brauchbarkeit der
bseintze und Blanckertzschen Federn in jedem ein
zelnen Falle durchaus. Liebevoll verständiges histo-
risches Versenken in alte Schönheit half auch hier,
wie so oft, wertvolle Hilfsmittel der Wiederbelebung
einer erloschenen Aunstübung finden und erfinden.
Diese Ergebnisse klug zu nutzen, wird reiner hin-
gebender Liebe und vertieftein Verständnis für alte
Schönheit, wohl zur Freude vieler, wieder gelingen.

Reine widerspruchslose Schönheit einer Schrift,
wie wir sie der Einsicht und dem Studium der alten
handgeschriebenen Werke aus fast allen Jahrhun-
derten verdanken, kommt nur zustande, wenn wir
die besten, werkgerechtesten Schreibgeräte richtig be-
nützen. Wir dürfen keinen verderblichen Zwang
gegen die schlichten Möglichkeiten jedes besonders
gearteten Schreibwerkzeuges ausüben. Die beson-
deren Wandlungen der Formen einer Schriftgattung
unterliegen, speziell für die Zwecke des allgemeinen
Gebrauches, die Lesbarkeit bedingen, nur bis zu ge-
wissem Grade der Absicht des Erzeugers. Der über-
zeugende Charakter schlichter, dauernder Schönheit
entsteht nur durch Unterordnung und bewußter Aus-
nützung und ungezwungendste Handhabung der be-
sonderen Eigenart eines Schreibgerätes.

Sollten sich künftig Bestrebungen hervortun, die
durch Vorlagen vorbildlich zum Studium anregen
wollen, so wäre vor allem mit Dank eine sorgfältig
ausgewählte Sammlung zu begrüßen, die nur solche
Proben brächte, die im Charakter noch fließend und
beweglich genug sind, um nicht zu leerer Copie auf-
zufordern. Alle mehr oder weniger reifer abge-
schlossenen Formen, und möchten es die in sich vollen-
detsten Werke der Schreibkunst sein, bieten nie so viel
Förderung als sie etwa lateinische Schriften des
zweiten bis vierzehnten Jahrhunderts in reichster
Abwechslung bieten können. Ähnlich liegt es um die
Vorläufer der modernen deutschen Schriften, die im
Flusse der Entwicklung lehrreicher sind als am Ende.

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