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Bayerischer Kunstgewerbe-Verein [Hrsg.]
Kunst und Handwerk: Zeitschrift für Kunstgewerbe und Kunsthandwerk seit 1851 — 61.1910-1911

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Wolff-Friedenau, Th.: Wie das Handwerk entstand
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https://doi.org/10.11588/diglit.7091#0399

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Franz Mdnmann f.

6^7. Schlitten; Entwurf von Fr. tVidnmann.

(Nach der im Jahrgang 1877 dieser Zeitschrift, Tafel 4, erfolgten Publikation.)

schaftlichen Entwicklung erklären und verstehen
wollen, so müssen wir uns zunächst mit den der
Entstehung des Handwerks zuvorgehenden formen
der Arbeits- und Wirtschaftsweise befassen. Die
Wirtschastsstufe des Handwerks repräsentiert selbst
in ihrer ersten und noch niedrigsten Form doch schon
eine verhältnismäßig hohe Stufe der wirtschaftlichen
Entwickelung, deren wesentlichstes Eharakteristikum
darin besteht, daß der Produzent, also der bsand-
werker, nicht für den eigenen Bedarf, sondern für
den Markt, und zwar im wesentlichen für den
lokalen Markt, produziert, auf dem die Erzeugnisse
durch Aauf und Verkauf an die wirklichen Ge-
braucher gelangen. Wir wissen jedoch, daß auf
einer früheren bzw. niedrigeren Stufe der wirt-
schaftlicheil, sozialen und allgemeinen Aulturent-
wicklung der Menschen, bedingt durch die ebenfalls
noch niedrige Stufe der technischen Entwickelung, die
Gebraucher sämtliche für ihren Bedarf notwendigen
Arbeiten selbst verrichteten und sämtliche Gebrauchs-
gegenstände, seien es landwirtschaftliche, seien es
mehr gewerbliche oder industrielle Erzeugnisse, selbst
erzeugteil. Wir findeii diese Wirtschastsstufe bei
allen Kulturvölkern des Altertums als die besteheiide
Form der Arbeitsweise, finden sie heute noch bei
vielen Naturvölkern und wissen, daß sie selbst in den

modernen Aulturländern noch nicht ausgestorben ist
sondern sich in gewisser Form, namentlich auf dem
Lande, teilweise bis auf den heutigen Tag er-
halten hat. Die moderne Volkswirtschaftslehre hat
diese Form der Arbeitsweise im Gegensatz zum
Handwerk als „l)auswerk" bezeichnet. Der Gebraucher
ist die einzelne Familie, die sämtliche für ihren
Gebrauch notwendigen Gegenstände selbst erzeugt.
Wie bereits erwähnt, hat sich diese Arbeits- und
Wirtschaftsweise, obwohl sie eine sehr niedrige
Stufe der wirtschaftlichen Entwickelung darstellt, selbst
in den vorgeschrittensten Aulturländern zum Teil noch
erhalten. Die Wirtschaftsweise der Bnkowinaer
Bauern beispielsweise gibt noch heute ein ziemlich
getreues Bild dieser als kfauswerk bezeichneten
Arbeitsform. Der Bukowinaer Dorfbewohner besorgt
sich seine Lebensbedürfnisse, wie der Volkswirtschafts-
lehrer Romsdorfer schildert, alle selbst. Er baut
sich sein k)aus selbst, indem er sowohl die Arbeit
des Maurers wie auch des Zimmermanns und
Dachdeckers verrichtet, während sein Weib das
Bemörteln der Wände, das Stampfen oder Belegen
des Fußbodens und noch verschiedene sonstige Arbeiten
am ksausbau ausführt. Für seine ferneren Bedürf-
nisse versteht und verrichtet das Ehepaar sowohl
den Anbau der Gespinst-Pflanzen, die Aufzucht des

Kunst und Handwerk. 6\. Iahrg. Heft \2.

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