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https://doi.org/10.11588/diglit.13086#0013
N°. l
K u n st - B l ü t t.
Donnerstag, den Z. Januar 1828.
Der Göttersaal in der Glyptothek in München. #)
ein Gespräch.
Italiener. Wir möchten uns einen genußreichen
Tag bereiten und sind hier auf dem Wege nach der Glyp-
tothek. Wollen Sie Ihr Versprechen halten und unö in
den vollendeten Frcskosaal führen?
Deutscher. Wie gern! Ich freue mich zweyMän-
ner verschiedener Nationen beysammen zu finden, die als
Stellvertreter verschwdenartlzer Ansichten zetten können.
Für meine Dienste als Wegweiser bitte ich mir aus, daß
Sie mir unverholen mittheilen, welchen Eindruck Ihnen
die Werke unseres Künstlers machen.
Engländer. Das wollen wir beydc als aufrichtige
und der Kunst wahrhaft ergebene Männer. Mir ist der
■ Anblick nicht mehr ganz neu, denn die ersten Gemälde
der Decke sah ich bereits vor sechs Jahren, kurz nach dem
Anfang der großen Arbeit, auf dem Gerüste. Damals
fand ich freplich einen bedeutenden Unterschied zwischen
der Art, wie diese Bilder behandelt sind, und der Malerey
,»einer Landsleute; doch bitte ich, mich nicht für einen
Vertheidiger der englischen Effektmalerey zu halten. Der
Vergleich mit vorzüglichen Werken anderer Nationen hat
mich gelehrt, daß wir Engländer in unfern Gemälden
meistens >mehr Phantasie besitzen als Poesie, mehr Genia-
lität als Talent und mehr frappante Wirkung als natür-
liche Wahrheit.
I. Mir würden sie eben so Unrecht thun, wenn Sie
meine Gesinnung nach dem unter den Italienern jezt herr-
schenden Geschmacke beurtheilten. Unsere besten Maler hul-
digen der Schule der Franzosen, oder vielmehr der Schule
*) Bon den Feeskvgemälde» in diesem Saale hat das Kunst-
blatt früher mehrere Nachrichten und Umrisse mitgetheilt,
Kunstblatt 1821. Nr. <55. — 6y. mit <5 Umrissen zum
Äunflbl. 182Z. Nr. yZ.— 94. mit I Umriß. Die dortigen
von Hrn. Canvnikus Svctl, gegebenen Erläuterungen
werden in dem folgenden Aufsätze vorausgesezt, welcher
eine Uebersicht des nun vollendeten Ganzen zu liefern be-
stimmt ist.
David's; die in Frankreich selbst bereits wieder zu Gra-
be gegangen ist. Mich jammert es anzusehen, wie diese
kalten Repräsentativns - und Theater - Scenen, diese ängst-
liche und oft naturwidrige Nachahmung der Antike, so
tief eingerissen, und so'schwer aus den Kopsen zu vertil-
gen sind. Doch läugne ich Ihnen nicht, was ich früher
in meinem Vaterlande von den Bestrebungen deutscher
Künstler, unter welchen Cornelius damals einer der
ausgezeichnetsten war, gehört habe, macht mir schwer eine
Vorstellung vou seiner jetzigen Kunstweise zu gewinnen.
Das ganze Bestreben jener jungen Künstler war ans das
Fromme, Religiöse, gerichtet. Sie gingen in dem Aeußer-
lichen der Kunst aus die vorrafaelische und altdeutsche Zeit
zurück, und man sah vieles von ihnen in Giotto's, Fieso-
les und A. Dürers Art, worin zwar ein ernster Sinn,
aber viel äußerliche Unvollkommenheit sich zeigte. Nur
die Freskogemälde, welche von vieren derselben in einem
Privathause zu Rom!ausgeführt wurden, zeugten auch
von einem tiefen wissenschaftlichen Studium, und beson-
ders von edler Charakterauffassung.
D. Auf dem Wege, den Sie in jenen Fresken be-
merken, ist diese Schule in ein umfassenderes Gebiet ge-
langt und hat sich durch ausgebreitete Uebung ihrer Kraft
zum Größern und Edler» ausgebildct. Denn es lag dem
ganzen Streben der Gedanken zu Grunde, daß es Noth
thue, die Malerey wieder zu der reinen Wahrheit der
Natur und zu dem Ausdruck edler Gesinnung hinanzufüh-
ren, welche beyde sie durch den Leichtsinn der leztvergan-
genen Jahrhunderte verloren hatte. Die religiöse Rich-
tung, wenn sie auch nicht von dieser Ueberzeugung aus-
ging, fiel doch damit zusammen, und so war cs natür-
lich, daß jene alte fromme Meister, besonders von den
weniger selbstständigen oft mehr als billig nachgeahmt wur-
den. Wie aber die Tüchtigen auf ihrer Bahn vorange-
schritten, zeigt sich jezt auch in Rom an mehr als einem
Werke.
I. Das Auffallende für mich ist, daß ein Mann,
welcher durch eine Folge von ihm gezeichneter Blätter sich
als Anhänger der altdeutschen Kunstart angekündlgt hat-
te, hier es unternahm, Gegenstände heidnischer Mvtbo-
K u n st - B l ü t t.
Donnerstag, den Z. Januar 1828.
Der Göttersaal in der Glyptothek in München. #)
ein Gespräch.
Italiener. Wir möchten uns einen genußreichen
Tag bereiten und sind hier auf dem Wege nach der Glyp-
tothek. Wollen Sie Ihr Versprechen halten und unö in
den vollendeten Frcskosaal führen?
Deutscher. Wie gern! Ich freue mich zweyMän-
ner verschiedener Nationen beysammen zu finden, die als
Stellvertreter verschwdenartlzer Ansichten zetten können.
Für meine Dienste als Wegweiser bitte ich mir aus, daß
Sie mir unverholen mittheilen, welchen Eindruck Ihnen
die Werke unseres Künstlers machen.
Engländer. Das wollen wir beydc als aufrichtige
und der Kunst wahrhaft ergebene Männer. Mir ist der
■ Anblick nicht mehr ganz neu, denn die ersten Gemälde
der Decke sah ich bereits vor sechs Jahren, kurz nach dem
Anfang der großen Arbeit, auf dem Gerüste. Damals
fand ich freplich einen bedeutenden Unterschied zwischen
der Art, wie diese Bilder behandelt sind, und der Malerey
,»einer Landsleute; doch bitte ich, mich nicht für einen
Vertheidiger der englischen Effektmalerey zu halten. Der
Vergleich mit vorzüglichen Werken anderer Nationen hat
mich gelehrt, daß wir Engländer in unfern Gemälden
meistens >mehr Phantasie besitzen als Poesie, mehr Genia-
lität als Talent und mehr frappante Wirkung als natür-
liche Wahrheit.
I. Mir würden sie eben so Unrecht thun, wenn Sie
meine Gesinnung nach dem unter den Italienern jezt herr-
schenden Geschmacke beurtheilten. Unsere besten Maler hul-
digen der Schule der Franzosen, oder vielmehr der Schule
*) Bon den Feeskvgemälde» in diesem Saale hat das Kunst-
blatt früher mehrere Nachrichten und Umrisse mitgetheilt,
Kunstblatt 1821. Nr. <55. — 6y. mit <5 Umrissen zum
Äunflbl. 182Z. Nr. yZ.— 94. mit I Umriß. Die dortigen
von Hrn. Canvnikus Svctl, gegebenen Erläuterungen
werden in dem folgenden Aufsätze vorausgesezt, welcher
eine Uebersicht des nun vollendeten Ganzen zu liefern be-
stimmt ist.
David's; die in Frankreich selbst bereits wieder zu Gra-
be gegangen ist. Mich jammert es anzusehen, wie diese
kalten Repräsentativns - und Theater - Scenen, diese ängst-
liche und oft naturwidrige Nachahmung der Antike, so
tief eingerissen, und so'schwer aus den Kopsen zu vertil-
gen sind. Doch läugne ich Ihnen nicht, was ich früher
in meinem Vaterlande von den Bestrebungen deutscher
Künstler, unter welchen Cornelius damals einer der
ausgezeichnetsten war, gehört habe, macht mir schwer eine
Vorstellung vou seiner jetzigen Kunstweise zu gewinnen.
Das ganze Bestreben jener jungen Künstler war ans das
Fromme, Religiöse, gerichtet. Sie gingen in dem Aeußer-
lichen der Kunst aus die vorrafaelische und altdeutsche Zeit
zurück, und man sah vieles von ihnen in Giotto's, Fieso-
les und A. Dürers Art, worin zwar ein ernster Sinn,
aber viel äußerliche Unvollkommenheit sich zeigte. Nur
die Freskogemälde, welche von vieren derselben in einem
Privathause zu Rom!ausgeführt wurden, zeugten auch
von einem tiefen wissenschaftlichen Studium, und beson-
ders von edler Charakterauffassung.
D. Auf dem Wege, den Sie in jenen Fresken be-
merken, ist diese Schule in ein umfassenderes Gebiet ge-
langt und hat sich durch ausgebreitete Uebung ihrer Kraft
zum Größern und Edler» ausgebildct. Denn es lag dem
ganzen Streben der Gedanken zu Grunde, daß es Noth
thue, die Malerey wieder zu der reinen Wahrheit der
Natur und zu dem Ausdruck edler Gesinnung hinanzufüh-
ren, welche beyde sie durch den Leichtsinn der leztvergan-
genen Jahrhunderte verloren hatte. Die religiöse Rich-
tung, wenn sie auch nicht von dieser Ueberzeugung aus-
ging, fiel doch damit zusammen, und so war cs natür-
lich, daß jene alte fromme Meister, besonders von den
weniger selbstständigen oft mehr als billig nachgeahmt wur-
den. Wie aber die Tüchtigen auf ihrer Bahn vorange-
schritten, zeigt sich jezt auch in Rom an mehr als einem
Werke.
I. Das Auffallende für mich ist, daß ein Mann,
welcher durch eine Folge von ihm gezeichneter Blätter sich
als Anhänger der altdeutschen Kunstart angekündlgt hat-
te, hier es unternahm, Gegenstände heidnischer Mvtbo-