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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — 21.1886

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Noch einmal Wereschagin
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https://doi.org/10.11588/diglit.5792#0143

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21- Iahrgang.

Nr. (6.

Aunstchronik

1,885 86. I ^ 28. Ianuar.

wochenschrift für Aunst und Runstgewerbe.

Ankündigungsblatt des verbandes der deutschen Runstgewerbevereine.

Herausgeber:

Larl v. kützow und Arthur j)abst

wien Berlin, XV.

Therestanumgasse 25. Rurfürstenstraße 2.

Lxpedition:

keipzig: L. A. Seemann, Gartenstr. Z5. Berlin: w. ks. Uühl, Iägerstr. 75.

Die Aunstchronik erscheint von Vktober bis Lnde Iuni wöchentlich, im Iuli, August und September nur aller Tage und kostet in verbindung
mit dem Kunstgewerbeblatt halbjährlich 6 Mark. — Inserate, L 30 j)f. sür die dreispaltige ssetitzeile, nehmen außer der verlagshandlung
die Annoncenexpeditionen von l)aasenftein L vogler in teipzig, wien, Berlin, München u. f. w. entgegen.

Inhalt: Noch einmal lvereschagin. — Rudolf Redtenbacher -j-; j) Baudry -s; Niels Simonsen -f; B. v. Neher -f; Alexandre Sege -s; Gustav
Toppieters f; I. Fergusson — R. ^eyn, Hauptsätze der sserspektive; T. Schmidt, Wegweiser sür das verständnis der Anatomie;
Die Sannnlung der „^Vrtiste, cälsbres". — Ausgrabungen auf Delos. — A. G. Hellqvist; L. Hildebrandt; L). v. Geymüller; T.
T. Newton; L).„6erkomer; Lharles verlat. — verein für Griginalradirung in Berlin; Archäologische Gesellschaft in Berlin. — ^andarbeits-
ausstellung im Osterreichischen Museum ; Neue Erwerbung der Galerie des Belvedere; Goethe-Nationalmuseum zu weimar. — Burg
Dankwarderode in Braunschweig; Aus Stuttgart. — Wiener Aunstauktion; Berliner Aunstauktionen. — Zeitschriften. — ^nserate.

Noch einmal IVereschagin.

Wien, im Januar 1886.

!I Mit dem Neujahrstage wurde die zweite hiesige
Wereschagin-Ausstellung, welche währeud ihrer zehn-
wöchentlicheu Dauer das Jnteresse des Wieuer Publi-
kums nach verschiedenen Richtungen hin lebhast in
Anspruch nahm, endgültig geschlossen. Bot dieselbe in
stofflicher Hinsicht auch nicht jene packenden Momente
dar, wie seinerzeit der Cyklus der Kriegsbilder, uud
haben wir an der Knnst Wereschagins auch keine neuen
Seiten kennen gelernt, so ervffnete uns das Borge-
führte doch einen erweiterten Einblick in das Wollen
und Streben dieses Tendenzmalers par exoellsnes.
Die Greuel des Krieges ließ der Künstler auf recht
grauenerregende Weise in einigen Nihilistenbildern aus-
klingen. Die „Unterdrückung des indischen Aufstandes
durch die Engländer", ein Gemälde, welches zeigt, wie
die Rädelsführer der Emeute, vor die Kanonen ge-
bunden, ihren Tod erwarten, und die „Hinrichtung
russischer Verschwörer an dem Galgen", gehören hier-
her. Daran schlossen sich eine Reihe von Ansichten aus
Jndien, reich stafsirte Architekturbilder, Festzüge,
Schilderungen von Land und Leuten, endlich eine An-
zahl Bilder aus Palästina, zum Teil mit biblischen
Staffagen. Letztere, und darunter namentlich die
„Heilige Familie" im Hofraum ihrer Behausung zu
Nazareth und die „Auserstehung Christi", haben ob
ihrer realistischen Auffassung viel Kirchenstaub ausge-
wirbelt. Bischöfliche Proteste wurden ausgegeben, Ver-
söhnungsandachten in den Kirchen abgehalten und durch
Verteilung vvn Bildern der „Heiligen Familie" in

idealer Auffassung (von dem verstorbenen Prof. Klein)
der Frevel des russischen Malers zu sühnen gesucht.
Ein Gastwirt in einer hiesigen Vorstadt verfiel durch
die Bilder in religiösen Wahnsinn und mußte in die
Jrrenanstalt gebracht werden, ja kurz vor Schluß der
Ausstellung wurde an der „Auferstehung" von fana-
tischer Hand sogar ein Attentat mit Vitriol verübt,
durch welches jedoch das Bild weniger Schaden nahm
als der drapirte Hintergrund.

Bei der Beurteilung der Werke Wereschagins, bei
ihrer Analyse in stofflicher und auch in technischer
Hinsicht ist mehr als bei irgend einem anderen Künst-
ler die ausgeprägte nationale Jndividualität desselben
in Betracht zu ziehen. Wereschagin ist Slave, ist
Russe durch und durch. Was man in dem großen
Zarenreich denkt, fühlt und will, spiegelt sich in
seinen Bildern, wenn auch zuweilen maskirt, wieder.
Bezeichnend ist schon sein Auftreten sn musss. Was
bisher unerhört war, daß nämlich ein Maler von
Zeit zu Zeit ein ganzes Künstlerhaus zur Ausstellung
seiner Werke pachtet, das ist für Wereschagin Be-
dürfnis. Er wetteifert im Produziren mit seinem
Landsmann Rubinstein, der auf seiner jüngsten Kunst-
reise in jeder seiner Konzertstädte gegen dreihundert
Nummern absolvirte. Das sind russische Dimensionen!
Der Entfaltung der künstlerischen Judividualität
standen bei Wereschagin keine nationalen Kunst-
traditionen im Wege, und mag er sein technisches
Können auch wo immer geholt haben, seine Palette
spricht nur russisch. Schneidig harte Töne neben
dumpfem Wohllaut; grelle Lichter und tiefe Schatten
in der Sonne, graue melancholische Stimmung,
 
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